I. Allgemeine Eindrücke
I. 1. Kleinigkeiten am Rande
I. 2. Museumsstück
I. 3. Sumpf
I. 4. Seifenblasen
I. 5. Der feine Unterschied
I. 6. Leergut
II. Konkrete Fragen
II. 1. Mythos
II. 2. Rechenkunst
II. 3. Konsequente Inkonsequenz I
II. 4. Das 'Urwort des Seins'
Theologen- Theorie
Laien-Kommentar
Kirchliche Praxis
Prophetie
II. 5. Konsequente Inkonsequenz II
II. 6. Heiligung
II. 7. Wahrheit
Nachwort
Zusammenstellung der Fragen
Literaturverzeichnis
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Kirchliche Praxis
Nun ist es schlicht Größenwahn, wenn ein Laie einen Theologieprofessor über theologische Spitzfindigkeiten belehren will. Aber immerhin, der Laie kann bezeugen, welche Auswirkung die Lehren der Professoren in Kirche und Gemeinde haben. Denn hier hat sich - im Gefolge von Struktur B - die Gott "im Zentrum seiner Existenz konkurrenzlos bewegende" Gnade (weithin) konkurrenzlos durchgesetzt.
Im Jahre 2003 zum Beispiel hat die 10. Synode der EKD eine Kundgebung zum Thema "Bibel im kulturellen Gedächtnis" verabschiedet. Darin wußte sie der Welt kundzugeben: ". . . immer wird der Hörer, die Hörerin der Bibel vor das Geheimnis des Lebens gestellt, das stärker ist als der Tod. Dass in Zeit und Ewigkeit weder Macht noch Gewalt, weder Bosheit noch Grauen das letzte Wort behalten werden, sondern Gott und mit ihm Sinn und Trost, Güte und Barmherzigkeit das kann man mit der Bibel nicht beweisen, aber bezeugen."
Ob dieses "Geheimnis des Lebens" an Bedingungen geknüpft ist oder gar Forderungen stellt, wird nicht erwähnt. Von "sola fide" ist nicht die Rede; auch nicht von Rechenschaft, Gericht oder "feurigem Pfuhl" . . .
Die christliche Presse bringt es wieder auf den Punkt. Peter Rosien in Publik-Forum 22/2003: "Faßt sich aber jemand ein Herz und schaut nach, was wirklich im Bauch des Schiffes [= Kirche] ist, dann findet er darin nichts als leeren Raum. Mittendrin ein einziger Container. Der strahlt Licht und Wärme aus. Er trägt auch eine Aufschrift, eine lateinische: Solus deus, sola gratia. Übersetzt: Einzig Gott ist der Inhalt des Glaubens. Und dir, Mensch, gilt seine unbedingte Liebe - gleich, was du tust oder getan hast."
Das klingt etwa wie: Wir können machen, was wir wollen; Gott sagt eh 'Ja und Amen' dazu. (Man beachte auch "solus deus" bzw. den recht flexiblen Umgang mit den "Exklusivpartikeln". Sicher kursiert irgendwo noch "allein die Liebe"? Womit wir bereits bei sieben wären. Mit denen wird dann je nach Bedarf hantiert . . . )
Auch auf den Kanzeln wird (weithin) genau dies gepredigt: "Ihr könnt tun und lassen, was ihr wollt, Gott ist euch immer gnädig." Von Risiken und Nebenwirkungen kein Wort. Daß von Gott auch Gefahren ausgehen könnten, ist unvorstellbar. Gott sagt ja zu zum Menschen, grundsätzlich immer und uneingeschränkt. Ein Nein scheint völlig ausgeschlossen.
Das Ergebnis: eine Theologie, die Gott verbietet, nein zu sagen, schafft entsprechende Kirchen. Kirchen, die ebenfalls unfähig sind, klar nein zu sagen und eindeutig Position zu beziehen: a) in der Gesellschaft, b) in den Gemeinden und c) zu sich selber.
Zu a): Evangelische Stimmen melden sich oft und häufig zu Wort und beziehen Stellung - solange sie in dieser Stellung nicht alleine sind. Wenn sie Verbündete hat, ist Kirche dicke da. Sonntags-Schutz (Gewerkschaften), Embryonen-Schutz (die Grünen), Irak-Krieg (SPD) sind dankbare Themen und finden Beifall. Im Moment (September 2004) überlegt man gerade, ob man auf den fahrenden Zug der "Montags- demonstrationen" aufspringen soll . . .
Wo aber bleiben die Kirchen, wenn es keine öffentlichen Diskussionen gibt und stillschweigend Fakten geschaffen werden (bzw. wurden)? Die Evangelischen allein gegen den Rest der Welt? Unvorstellbar! (Es sei denn, es geht um die eigenen Interessen, sprich: Besitzstände.)
Die katholische Kirche vertritt (mitunter) eindeutige Positionen. Ob diese immer richtig sind, sei dahingestellt. Aber sie hat wenigstens erkennbare Positionen. Sie hat Ecken und Kanten. Sie wird dafür geliebt oder gehaßt. Evangelische Kirchen werden weder gehaßt noch geliebt. Sie werden (weithin) gar nicht wahrgenommen. Sie erscheinen als rückgratlose, graue Gebilde - genau wie der Gott, den sie verkündigen.
zu b): Es soll gewisse Damen geben, die sagen immer ja. Für Geld tun sie (fast?) alles. Diese Damen werden mancherorts geduldet und benutzt; aber geachtet werden sie und ihr Gewerbe nicht. Auch wenn das übertrieben klingt: ein ähnliches 'Image' hat evangelische Kirche in einigen (besonders ländlichen) Gebieten hier im Osten.
Kirche läßt sich benutzen; sie sagt immer ja: Taufen, Hochzeiten, Goldene Konfirmationen, Beerdigungen . . . bis hin zur Weihe von Feuerwehr- und sonstigen Fahnen. Es kann kommen wer will: "Lumpen", Spötter, Verächter. Alle werden wie fromme Christen behandelt. Der Pfarrer tut so als ob; die 'Kunden' tun so als ob. (Fast) alle wissen, daß es nur eine Farce ist, ein peinliches, würdeloses Schauspiel. Dennoch, der Schein wird gewahrt; alle spielen ihre frommen Rollen.
Das Traurigsten dabei: "Kirche" merkt dies oftmals gar nicht; zumindest tut sie nichts dagegen. Ein "Nein, so nicht", kommt praktisch nicht vor. Eine solche Kirche, die immer ja sagt, die alles mit sich machen läßt, wird geduldet und benutzt; aber geachtet werden sie und ihr Gott nicht.
zu c): Experten beklagen, der "christliche Grundwasserspiegel" (das Wissen über Glauben, Bibel usw.) in der Gesellschaft würde ständig sinken. Das ist wohl wahr! Es gibt auch noch einen - vielleicht nicht un- bedingt anti-kirchlichen - aber doch zumindest kirchen-kritischen Grundwasserspiegel. Und dieser scheint langsam aber sicher zu steigen.
Der wird gespeist z. B. durch negative Episoden um Christen bzw. kirchliche Angestellte: Da gab es den Pfarrer, der regelmäßig nach Kneipenschluß mit Bier und Kumpels in die Kirche zog, um dort weiter zu skaten. Oder den skrupellosen Intriganten, der in Maske des leutseligen Biedermannes Anstand und Glauben mit Füßen tritt. Oder den Pfarrer, der im Durchschnitt (!) mit 15 Minuten Verspätung zu seinen Veranstaltungen kommt. Oder den, der am Ostersonntag wutentbrannt den Talar in die Ecke warf, weil nur 10 Leutchen zum Gottesdienst erschienen waren. Oder den, der - obwohl verheiratet - mit der ebenfalls (anderweitig) verheirateten Katechetin zusammenlebte. Oder den, der . . . Solche Geschichten mögen Theologen selten zu Ohren kommen. Ein Laie im Berufsleben begegnet "Legionen" davon.
So verschieden diese Episoden im Einzelnen sind, eines haben sie alle gemeinsam: wenn sich jemand aus der Gemeinde an die Kirchenoberen wendet mit der Bitte, den Mißstand abzustellen, dann enden solche Versuche allermeist wie das 'Hornberger Schießen'. Man erhält überall Verständnis, Zustimmung und unverbindliche Absichtserklärungen - aber ändern tut sich nichts.
L ist in diesem Punkt ein besonders gebranntes Kind. Er hat - im Zusammenhang mit dem Tod der befreundeten Pfarrerin - Dinge erlebt, die sein Vorstellungsvermögen überstiegen. Die Untätigkeit der Kirchen- leitung spottete buchstäblich jeder Beschreibung. Das Geschehen erinnerte einem riesigen Misthaufen: Wenn dessen Gestank unerträglich wurde, haben Bischof, Propst und Konsistorium rasch etwas Parfüm ver- sprüht, um den Geruch einzudämmen. Den 'Misthaufen' selber hat keiner angefaßt. Davon wußte man immer gebührenden Abstand zu halten. (So zumindest der Eindruck vor Ort, in den betroffenen Gemeinden).
Die Aufregung währte - nach langsamen Aufgalopp - mindestens sechs Jahre. In dieser Zeit wurden drei Verfahren gegen den Pfarrer eingeleitet. Keines von ihnen kam zu einem überzeugenden Abschluß. Zwei Abberufungsverfahren wurden leise weinend eingestellt und ein Disziplinarverfahren endete mit einem Vergleich hinter verschlossenen Türen: Der Pfarrer hat das Pfarrhaus geräumt und sei Anfang 2005 aus dem Pfarrdienst ausgeschieden. Das ist immerhin ein Ergebnis. Doch die schlimmen Probleme in den Gemeinden sind nicht geklärt. Der 'Mist- haufen' aus Lügen, Streit und Resignation stinkt weiter vor sich hin . . .
Müßig, noch lange zu lamentieren. Evangelische Kirche erinnert mit- unter an einen AIDS-Kranken: das Immunsystem ist kaputt; so können sich Krankheitserreger nahezu ungehindert ausbreiten. Im Schutz "christ- licher Nächstenliebe" gedeihen Nachlässigkeit, Trägheit, Standesdünkel, kleinkarierte Rivalitäten . . . bis zu ans Kriminelle grenzende 'Aktivitäten'.
Wohlgemerkt: Viele kirchliche Angestellte sind fleißig und mühen sich redlich! Aber es gibt auch andere. Und es ist nicht zu erkennen, daß gegen offensichtliche Mißstände ernsthaft etwas unternommen würde. Es scheint nahezu unmöglich, in dieser Kirche Autoritäten zu finden, die unangenehme Konflikte konsequent anfassen und - wo es sein muß - auch einmal mit der Faust auf den Tisch hauen. Es scheint keinen Selbst-Reinigungs-Mechanismus (oder Selbst-Disziplinierungs-Kraft) zu geben, der es der Organisation Kirche ermöglichte, effektiv, glaubwürdig und überzeugend zu leben und zu predigen.
Spr 11,22: "Ein schönes Weib ohne Zucht ist wie eine Sau mit einem goldenen Ring durch die Nase."
Eine Kirche, deren "verbo" nicht von ihren Taten beglaubigt wird, läuft Gefahr, ihre Glaubwürdigkeit zu verspielen. Was nutzen all die goldenen Worte, wenn ihr Leben anderes predigt? Hier dürfte ein wesentlicher Grund dafür liegen, warum die unzähligen Predigten, so wenig Wirkung zeigen. Und heutige Theologie muß sich fragen lassen, inwiefern sie mit ihren bequemen Glauben die Kirche "zur Sau macht"? Eben weil ein Gott, der nicht nein sagen darf, der (oder zumindest ein) Erreger dieser ihrer Immunschwäche ist . . .
Was wäre wenn? Wenn gegenüber jeder Kanzel groß und unüberseh- bar ein Transparent hinge; Mt 12,36: "Ich sage euch aber, daß die Menschen Rechenschaft geben müssen am Tage des Gerichts von jedem nichtsnutzigen Wort, das sie geredet haben"?
Oder wenn auf dem Schreibtisch eines jeden, der in der Kirche Verantwortung trägt, ein großes Schild stünde; Mt 18,6: "Wer aber ärgert dieser Geringsten einen, die an mich glauben, dem wäre besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, da es am tiefsten ist."
Dies würde nicht alle Probleme lösen. Aber es wäre viel gewonnen, wenn diese Kirche wieder begreifen würde, daß sie einen Herrn hat. Und zwar einen Herrn, der kein Hanswurst ist; einen Herrn, mit dem man nicht endlos nach Belieben umspringen kann; Lk 12,45ff: "Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr kommt noch lange nicht, und fängt an die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich vollzusaufen, dann wird der Herr dieses Knechtes kommen an einem Tage, an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen und wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen.
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