I. Allgemeine Eindrücke
I. 1. Kleinigkeiten am Rande
I. 2. Museumsstück
I. 3. Sumpf
I. 4. Seifenblasen
I. 5. Der feine Unterschied
I. 6. Leergut
II. Konkrete Fragen
II. 1. Mythos
II. 2. Rechenkunst
II. 3. Konsequente Inkonsequenz I
II. 4. Das 'Urwort des Seins'
II. 5. Konsequente Inkonsequenz II
II. 6. Heiligung
II. 7. Wahrheit
Theologen- Theorie
Laien-Kommentar
„ICH BIN die Wahrheit“
„Unterscheidung der Geister“
Nachwort
Zusammenstellung der Fragen
Literaturverzeichnis
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II. 7. Wahrheit
Theologen- Theorie
Die moderne Bibelauslegung basiert auf einem einfachen Grundgedanken: in der Bibel wurde einem zeitlosen Inhalt eine zeitbedingte Form gegeben.
Die Verfasser der heiligen Schrift haben 'ewigen Wahrheiten' in die Sprache und die Vorstellungen ihrer Zeit gekleidet; in Form von Geschichten, Gleichnissen, Bildern usw. Diese sind in einem - der damaligen Zeit gemäßen - religiös-blumigen Stil geschrieben. Gottes Wort wurde gewissermaßen antik-mythologisch verpackt.
Dem heutigen modernen Menschen ist diese antike Gedankenwelt fremd. Er kann mit dem religiös-blumigen Stil nichts anfangen. Der ist ihm un- bzw. mißverständlich. Die biblischen Texte müssen deshalb 'interpretiert' werden: die 'ewigen Wahrheiten' werden aus den antiken Texten herausgefiltert und in die Sprache und die Vorstellungen unserer Zeit übertragen. Der zeitlose Inhalt bleibt unverändert! Er wird jedoch in modern-sachliche Geschichten, Gleichnisse, Bilder usw. neu verpackt, damit der heutige Mensch davon ebenso angesprochen und 'existentiell bewegt' wird wie sein Glaubensbruder vor 2000 Jahren.
Inmitten ständig wechselnder Formen bewahrt der interpretierende Theologe den Inhalt rein und unverfälscht. Er transportiert Gottes Wort sicher durch die Jahrtausende herein in unsere Zeit. Der Theologe ist - im Bilde gesprochen - der Esel, auf dem Christus hell leuchtend durch die moderne Welt reitet.
Soweit die Theorie. Da die dem 'Interpreten' nahezu uneingeschränkte Macht über den Text einräumt, scheint in der Praxis mitunter ein etwas anderes Grundprinzip wirksam zu sein: die zeitlose Form der Bibel wird mißbraucht, um zeitbedingte Inhalte zu befördern.
Die Verfasser der heiligen Schrift haben 'göttliche Wahrheiten' in eine die Jahrtausende überdauernde Form gekleidet. In diese einzigartigen Geschichten, Gleichnisse, Bilder usw. werden neue, blumige Inhalte gepackt. Das Wort Gottes wird gewissermaßen modern-philosophisch ausgestopft.
Dem heutigen Theologen sind 'göttliche Wahrheiten' unbequem. Er will nicht, daß diese über ihn herrschen (Lk 19,14). Biblische Texte müssen deshalb 'interpretiert' werden: der ursprüngliche Inhalt wird heraus- gefiltert und durch eigene, angenehmere 'Wahrheiten' ersetzt. Diese berühren den modernen Menschen dann ebensowenig, wie seine Glaubensbrüder vor 2000 Jahren von den Lehren der damaligen Priester und Schriftgelehrten angesprochen wurden.
Reine, unverfälschte Formen füllt der interpretierende Theologe mit ständig wechselnden Inhalten. Er benutzt Gottes Wort als Einwickel- papier, um eigene Weisheiten unter die Leute zu bringen. Der Theologe versucht, - im Bilde gesprochen - als strahlender Held auf Christi Schultern durch die moderne Welt zu reiten.
Zwei Bilder. Das erste haben gebildete Theologen gemalt; das zweite stammt von einem dummen Laien. Gibt es irgendeinen Beweis, daß dieses zweite Bild tatsächlich das falsche ist?
Wie kann eine Gemeinde prüfen, welchem der beiden Bilder sie in ihren Gottesdiensten ausgeliefert ist: hört sie das Wort Gottes oder nur das "verbo" ihres Pfarrers? Gibt es einen Maßstab, mit dem sich im konkreten Einzelfall einigermaßen sicher feststellen läßt: wer ist das Roß und wer der Reiter; wer sitzt obenauf - Christus oder der Esel?
Oder, wie kann ein aufrichtiger Pfarrer wissen: diene ich treu meinem Herrn - oder werde ich selbst von neumodernen Schnapsideen geritten? Weise ich meiner Gemeinde einen sicheren Weg ins 'Reich Gottes' - oder führe ich sie zum Tanzen aufs (fachtheologische) Eis?
In Jüngels Sprache ausgedrückt: woran ist zu erkennen, ob das, was da gerade gepredigt wird, Wahrheit oder Lüge ist?
L hört den Vortrag eines
bekannten Predigers über verschiedene Möglichkeiten, die Bibel zu verstehen:
verbalinspiriert, historisch-kritisch, tiefenpsychologisch . . . All dies habe seine Berechtigung. Es gäbe kein
Richtig oder Falsch, kein Gut oder Böse. Jeder könne die Bibel ver- stehen, wie
er es für richtig halte. Hauptsache er fühle sich wohl dabei.
L besucht einen Gemeindeabend
mit einem bekannten Theologen: Das "Buch der Richter" in der Bibel
bestünde aus "Geschichten"; es enthalte keinerlei historische
Wahrheiten. Diese Geschichten seien erzählt worden, um zu trösten, zu
ermutigen. Es gibt darin kein Richtig oder Falsch. Jeder könne sie so
verstehen, wie er es für sinnvoll halte.
Professor Lindemann erklärt
im "SPIEGEL" praktisch das ganze Neue Testament zur Legende:
"Die Wahrheit des christlichen Glaubens hängt nicht vom Selbstverständnis
Jesu ab." Er könne im Prinzip Augsteins Satz zustimmen: "Nicht was
ein Mensch namens Jesus gedacht, gewollt, getan hat, sondern was nach seinem
Tod mit ihm gedacht, gewollt, getan worden ist, hat die christliche Religion . . . bestimmt."
Die EKD-Synode
veröffentlichte 2003 in einer "Kundgebung" zwölf Anstöße, die Bibel
zu lesen: "Wer die Bibel liest, hält inne . . . wird reich . . . begegnet
Gott . . . sucht Wahrheit". Wer die Bibel
liest, "sucht Wahrheit"! Die obersten Vertreter des
deutschen Protestantismus konnten sich wohl nicht darauf einigen, daß die
Wahrheit dort auch zu f i n d e n ist . . .
Für Professor Jüngel ist die
Bibel menschliches Wort, das keinesfalls mit dem Wort Gottes unmittelbar zu
identifizieren sei. Die Erkenntnis der Wahrheit müsse immer wieder mit dem
Anfang anfangen (S. 116).
Diese Aufzählung ließe sich
beliebig fortsetzen. Allen diesen Aussagen ist eines gemeinsam: sie leugnen
letztlich die Existenz einer vom Menschen unabhängigen göttlichen Wahrheit. Für
sie sind Glaubenswahrheiten niemals 'objektiv' sondern immer und ausschließlich
'subjektiv'. Jeder Mensch kann für sich allein entscheiden, was er glauben
möchte. Und damit auch, was er denken, reden, tun und lassen will. Es gibt
keine von Gott gegebenen verbindlichen Normen, kein Richtig oder Falsch, kein
göttliches Gut oder Böse.
Der Anfang, an dem "die Erkenntnis der Wahrheit immer wieder
anfangen muß" liegt in Hirn und Herz des Menschen. Dort sitzt die
Quelle der Wahrheit. Der Mensch allein ist Norm und Maßstab, ist Anfang und
Ende, Alpha und Omega . . .
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