Am Ende? Nie!
„Der Gesprächsprozess“ in der Evangelisch – Lutherischen
Landeskirche Sachsens im Brennglas einer kleinen
„Sonntagsrunde“
Zusammengestellt von Pfarrer Gert Flessing, Lunzenau
An Stelle eines Vorwortes
Es war dem Sonntag zu danken, das er in seiner virtuellen Ausgabe diese Möglichkeit in seinem
Forum eröffnet hat. Nicht immer war es dabei leicht, einen Gesprächsfluss aufrecht zu erhalten und
noch weniger leicht war es, diesen am Thema entlang zu fuhren. Das lag zum einen an den Beteiligten, die durchaus abschweiften, zum anderen daran, das der Auslöser der gesamten Diskussion der Kirchenleitungsbeschluss war, nach dem, unter bestimmten Umständen, homosexuelle Paare im Pfarrhaus leben können.
Da nun die Frage der Bedeutung der Schrift sich an einem derartigen Thema entzündet hatte, ist die ständige Gefahr des Abschweifens voraussehbar gewesen. Beteiligt waren Menschen, die nur teilweise erkennbar waren. Etliche haben sich hinter einem Pseudonym verborgen, wie das ja im Internet gang und gäbe ist. Ich finde das schade, denn es verbirgt doch in gewisser Weise die Persönlichkeit und es zeugt, m.E. auch von Angst, durch Nennung des eigenen Namens, angreifbarer zu werden. Müssen wir uns, ob unserer Meinung und ihrer Äußerung, vor anderen Menschen furchten? Das wäre ein schlimmes Zeichen für unsere Zeit und unsere Gesellschaft.
Während der Gespräche zeigte sich, dass es unter uns zwei wesentliche Gruppen gibt. Herr Rau,
dessen Ausführungen hier weiter unten folgen werden, nannte sie A und B. Dabei handelt es sich
um eine Gruppe, die eher streng biblisch orientiert scheint und eine, die scheinbar eine lockere
Beziehung zur Schrift hat. Ich persönlich habe mich mit dieser strengen Teilung nicht anfreunden können. Aber sie hat, in mancher Hinsicht, ihren Zweck erfüllt. Zumindest konnte man sich selbst einzuordnen versuchen. Doch müssen wir uns einordnen? Müssen wir ein „Lager“ haben, dem wir zugehörig sind? Es gibt Menschen, die brauchen das. Es gibt ihnen Halt. Es gibt ihnen Halt in einer Welt, die ihnen zu unübersichtlich geworden ist, die zu komplex scheint.
Herr Rau führte das Lager der „Bibeltreuen“ an, unter deren Fahne sich Christian, Bastl, Britta und andere sammelten. „Paul“ einer der „Pseudonymiker“ führte das B Lager, in dem sich Herr Lehnert, der „Aufrechte“ und andere zusammen fanden. Hin und wieder fanden sich auch griechische Gottheiten und Kirchenväter von Augustinus bis Abaelard in der Gesprächsrunde wieder, um uns in die Frühzeit kirchlicher Diskussionen zu leiten. Leider gab es zwischendurch auch etliche „Sockenpuppen“ oder, wie in der Rollenspielszene gesagt wird „Twinks“, die nur Störungen und sinnloses Gewäsch brachten und hin und wieder glaubten, witzig zu sein.
Was trug es aus, dieses Gespräch?
Für mich brachte dies Gespräch zunächst die Information, dass es nichts neues unter der Sonne gibt, sondern das die Fragen des Umgangs mit Gottes Wort seit je her bearbeitet worden sind. Immer gab es dabei unterschiedliche Gruppen und unterschiedliche Herangehensweisen und immer auch gegenseitige Verwerfungen und Verletzungen. Dann begann ich zu verstehen, dass es ein geistliches Defizit auf Seiten der Gemeinde gibt, das darauf beruht, das die Theologie sich nicht wirklich verständlich macht, vielleicht auch nicht machen kann. Das, was ich als „praktische Theologie“ erlebe und wohl auch praktiziere, hat wesentlich nichts zu tun mit der Theologie, die als Wissenschaft an Hochschulen betrieben wird. Hin und wieder scheint dieses Defizit auf Gemeindeglieder durchzuschlagen, vor allem, wenn sie mit öffentlichen Aussagen aus den Wolkenkratzern der theologischen Wissenschaft, gebrochen durch Medien, konfrontiert werden.
Ich erfuhr ferner, das die Gottesfrage eine ist, die Menschen zur Verzweiflung treiben kann, weil
Gott unfassbar und unfassbar anders ist. Durch Paul lernte ich etwas über „negative Theologie“,
das, bei rechtem durchdenken, nicht wirklich negativ ist, sondern nur die Gefahr verdeutlicht, in der
wir stehen, wenn wir von Gott reden, als konnten wir ihn verdinglichen.
Interessant für mich war auch der Hinweis auf Johann Baptist Metz, einen katholischen Theologen, der uns vorwarf, durch eine, wie ihm schien, unheilige Allianz mit, wie er es ausdrückte, „dem Geist Athens“, die christliche Botschaft quasi kastriert zu haben. Es fehlt jenes jüdische Element, das die Leiden der Opfer in den Blick nimmt. Er rief zu einem Blick auf die „Autorität der Leidenden“ auf. Die in diesem Zusammenhang auftauchende „Theologie nach Auschwitz“ führte auch zu einer Kontroverse über die Frage von Schuld über die einst handelnde Generation hinaus. Welche Autorität hat „Auschwitz“ für Menschen, die heute Theologie betreiben. Hat der Holocaust Christen und Juden, in ihrer Frage nach Gott, einander naher gebracht? Theologie ist auch Theologie, die das eigene Versagen nicht ausklammert.
Im Kontext dieser weit gefassten Gedankengange, stellte sich immer wieder die Frage, welche
Autorität uns helfen kann, den Menschen Gott nahe zu bringen. Wie steht es um unser Bekenntnis? Wie steht es um unsere Beziehung zur Schrift? Beides ist miteinander verbunden. Bekenntnis und Schrift gehören zusammen, denn aus unserem Blick auf die Schrift und unseren in ihr fußenden Erkenntnissen, speist sich unser Bekennen vor der Welt.
Was ist die Schrift?
Sie ist, so sehe ich es, Gottes Wort an die Menschen. Dieses Wort geschieht, eingebettet in
geschichtliche Abläufe und wird von den Menschen aufgenommen, festgehalten und verdichtet. Es
ist gebunden an die überlieferten Buchstaben, aber ist nicht mit ihnen in eins zu setzen. Gottes Wort
bedarf der Aufmerksamkeit dessen, der es liest, um zu ihm sprechen zu können ebenso, wie des
Heiligen Geistes, damit Gottes Wort auch verstanden wird. Es reicht nicht, einfach zu lesen, was da
steht. Das wäre platt. Gottes Wort muss sich im Dialog mit dem, der es liest, öffnen, entwickeln und
ihn dadurch zur Erkenntnis fuhren.
So wie ich es für eine Vereinfachung des Wesens der Schrift halte, wenn jemand sagt, es wäre
Verbalinspiration und Buchstabe für Buchstabe dem Schreiber eingegeben, halte ich es für eine
Vereinfachung, wenn jemand behauptet, es wäre eine Ansammlung von Mythen, die nur durch
unsere Überlegungen in eine Verbindung zu Gott gesetzt werden.
Die Schrift ist eine Sammlung von unterschiedlichen Geschichten, die in ganz unterschiedlichen
Zeiten entstanden sind. Alle diese Geschichten geben die Erfahrungen von Menschen in ihrem
Lebensumfeld, im Miteinander und mit Gott, wieder. Insofern beinhalten sie den Geist Gottes, der
durch Ereignisse, andere Menschen und direkte Weisung spricht.
Wenn ich es mir wirklich verdeutlichen möchte, so atmet die Schrift für denjenigen, der von Gott
berührt ist, den Geist und den Willen Gottes. Gott kann sie uns lebendig machen. Gott kann sie,
durch uns, anderen Menschen lebendig machen. Immer aber ist die Schrift Gottes Wort, weil er sie
uns durch die Zeiten bewahrt und uns durch die Beschäftigung mit ihm inspiriert. Es ist durch uns
nicht verfügbar, auch wenn die Buchstaben vorhanden sind.
Die Schrift führt in dieser Welt ihr eigenes Leben. Oft genug ist sie auch für denjenigen Inspiration, der Gott nicht nahe steht und wurde damit zur Quelle von Kunst, die Menschen begeistert und dann ihrerseits wieder danach fragen lasst, woher ein Künstler seine Inspiration bezogen hat.
Die Schrift weist eine Entwicklung und in ihr eine Kontinuität auf. Es ist die Kontinuität des
Heilshandelns Gottes, das in Jesus, dem Christus, gipfelt. Durch die Worte Jesu, die uns in den
Evangelien überliefert werden, wird das Wort, das an die Väter gerichtet wurde, nicht aufgehoben,
sondern zur Vollendung gebracht und in die Welt hinaus getragen. Die Briefe wiederum helfen die
sich anbahnende Entwicklung zu verstehen und weisen uns auf die ersten Verwerfungen innerhalb
der sich bildenden Gemeinschaft der Christen hin. Schon ist das im Brief des Paulus an die Christen
der Landschaft Galatien zu sehen. Hier steht die Frage nach der Freiheit oder nach der neuen
Gesetzlichkeit. Wobei ich Paulus nicht absprechen möchte, immer wieder selbst in die Falle der
Gesetzlichkeit zu tappen, weil er natürlich Angst vor einer Freiheit hat, die den Respekt vor dem
Wort und Willen Gottes aufgibt.
Unser Bekenntnis
Das Bekenntnis ist geboren aus dem Streit, der die christliche Gemeinschaft zu zerreißen drohte. Es ist das Ergebnis eines Kompromisses, der, zumindest teilweise, durch den damaligen Kaiser
erzwungen worden ist. Aber es greift zurück auf die Schrift und kann sich an der Schrift und ihren Aussagen messen lassen.
Es gilt heute als schwierig, nicht nur bei Konfirmanden, die es lernen sollen, sondern auch bei
Theologen. Die Schwierigkeit ist zum Teil in den verwendeten Bildern zu finden, teilweise in der
Unwilligkeit der Theologie, die Schrift und ihren Wortlaut ernst zu nehmen. Es wird also
gesprochen und nicht für wahr gehalten. Herr Rau hat das sehr geschickt an der Jungfrau Maria fest
Dabei ging es den Vätern des Glaubensbekenntnisses vor allem um die Frage, ob Jesus ganzer
Mensch und gleichzeitig ganzer Gott ist. Ist in ihm Gott selbst gegenwärtig, der als Mensch leidet
und stirbt, ja ist es überhaupt denkbar, dass Gott stirbt? Doch wenn in Jesus Gott nicht stirbt, sondern
„nur“ ein Mensch, wie kann dieser Tod dann mehr sein, als die anderen Tode die je gestorben
wurden?
Am Ende steht das Bekenntnis, das wir noch heute verwenden und das ich in seiner Substanz für
uns als Kirche für unverzichtbar halte. Es ist ein Band, das uns eint. Mein Bekennen muss sich an der Schrift und damit an Gottes Wort orientieren und erhält von diesem seine Legitimität.
Als Lutheraner bin ich einst auf die lutherischen Bekenntnisschriften ordiniert worden. Sie sind also der Hintergrund für mein Wirken in der Kirche und in der Gemeinde. Wenn ich auch innerhalb der Kirche ein „Aufweichen“ in diesen Fragen erlebe, so bedeutet das nicht, dass mein Ordinationsgelübde nichts mehr gilt.
Für mich bleibt die Schrift Gottes Wort und Anrede an mich und mein Leben. Für mich bleibt Jesus, der gekreuzigte und auferstandene Jesus, der Christus und Weg, Wahrheit, Leben. Für mich bleibt die Gnade, die ich mir weder durch fromme, noch durch weltliche Werke verdienen
kann, sondern die ich von Gott geschenkt bekomme, bestimmend für mein Leben. Für mich bleibt das Vertrauen in diesen Gott, der mich so liebt, das er mir Gnade und Freiheit gibt, der Auslöser für die Liebe, die ich in dieser Zeit, die ich habe, mit meinen Mitmenschen teilen möchte. Das lebe ich in einer Kirche, die, in allem Angefochtensein, doch von Gott getragen wird. – Auch das ist Gnade.
Welches Resümee ziehe ich nun aus dem Gesprächsprozess?
Wir sind Menschen, die Gott ernst nehmen. Wir sind Menschen, die ihm, in unterschiedlichem
Maße, vertrauen. Wir sind Menschen, die immer wieder in der Schrift forschen und fragen.
Unsere Ansätze sind unterschiedlich, denn wir kommen aus den unterschiedlichsten Familien und
Milieus. Wir haben unterschiedliche Erziehungen genossen, verschiedene Bildungswege eingeschlagen und vor allem in unserem Leben ganz unterschiedliche Erfahrungen mit Gott und seinem Wort gemacht. Das hat uns geprägt. Das hat sich auch im Gespräch niedergeschlagen. Wir werden keine Kirche kreieren, die allen ein gleichermaßen großes Wohlfühlpotential geben kann. Aber wir werden vielleicht weiter mit dem leben können, was da ist, weil wir wissen, das Gottes Reich nicht von dieser Welt ist, und die Kirche nicht Gottes Reich sein kann. Sie leidet an der gleichen Unvollkommenheit, an der die gesamte Schöpfung leidet. Wenn es etwas gibt, was ich weiß, dann, dass wir, um der Liebe Gottes willen, nicht aufhören dürfen, miteinander zu reden. Und – das wir es, wenn uns wirklich etwas an dem einen, ewigen und unverfügbaren liegt, der sich in Jesus menschlich offenbarte, auch gar nicht aufhören können, miteinander zu reden. Und nun kommen andere zu Wort.
Gert Flessing, Alfred-Kohler-Str. 4 in 09328 Lunzenau;
Pfarrherr allhier und Fürstbischof von Groß Mützenau
mail: gertflessing@aol.com
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