DAS GEGEN STREITET WIDER DAS FÜR UND DAS FÜR STREITET
WIDER DAS GEGEN
Die sehr persönliche(!) Bilanz eines Laien zum Gesprächsprozess in Sachsen
Warnung! Der folgende Text dürfte kaum jemanden interessieren. Falls doch, dann ist er entschieden zu lang (18 bzw. 21 Seiten). Falls ihn doch jemand liest, wird er den Inhalt nicht verstehen oder nicht akzeptieren. Falls doch, dann wird er ihn böse, unhöflich oder was auch immer finden. Ich empfehle also wärmstens, etwas anderes zu lesen - z. B. geistliche Erbauungsliteratur von Margot Käßmann, Anselm Grün, Karl May usw. An diesem Machwerk hier werden Sie wenig Freude haben.
I. Zum Verständnis eine Einleitung
Vorwort 1: Ich bin ich a) Sachse und b) ev.-luth. Christ. Aber ich lebe in der "Diaspora" und gehöre zur EKM. Und ich bin Laie. Aus dieser Perspektive bietet sich folgendes Bild:
- Von den ev. Landeskirchen wird kaum noch Theologie getrieben. In der Folge gibt es einen gewaltigen "Klärungsstau": Auf viele grundlegende Fragen hat "die ev. Kirche" keine verbindlichen Antworten mehr. Stattdessen werden die unterschiedlichsten Meinungen vertreten, die sich dann aneinander reiben bzw. gegenseitig beharken.
- Dieser Meinungsstreit schwelt im Verborgenen und wird weithin gar nicht wahrgenommen. Bei dem (an sich belanglosen) Thema Homosexualität kochte dieser Streit aber plötzlich hoch und die Sprengkraft der über Jahrzehnte verdrängten Probleme wurde kurzzeitig für jedermann sichtbar.
- Die sächsiche Landeskirche reagiert darauf mit einem "Gesprächsprozess zum Schrift- und Kirchenverständnis". Alle Beteiligten erklärten ihre Bereitschaft, sich für eine Verständigung in den strittigen Fragen einzusetzen. Dies ist eine gtroßartige und vermutlich einmalige Chance.
- Diese Chance wird vergeben. Denn ein Gesprächsprozess, der diesen Namen verdient, findet nicht statt bzw. ist zumindest nicht wahrzunehmen. Bischof und Kirchenleitung dürften kein Interesse haben, heikle Fragen anzusprechen und so Unruhe in die Gemeinden zu tragen. Folglich verhalten sie sich entsprechend. Die SBI scheint nicht in der Lage, qualifizierte Theologie zu liefern. Oder sie wagt nicht, einen ernsthaften Streit mit der Kirchenleitung zu beginnen. Oder was auch immer? Die im Internet von der Landeskirche veröffentlichten "Ergebnisse" sprechen für sich: http://www.evlks.de/publikationen/texte/20340.html oder auch http://www.evlks.de/publikationen/texte/20337.html
Vorwort 2: Aber zumindest an einem Ort hat sich dennoch - vermutlich weithin unbemerkt - ein Gespräch entwickelt; ein kleines, winziges Gesprächsprozesschen, das allerdings erstaunlich offen und intensiv war: Die kirchliche Wochenzeitschrift "DER SONNTAG" unterhält eine Internetseite: https://www.sonntag-sachsen.de/Dort können die "Leser" ihre Meinung zu den jeweiligen Themen äußern. Diese "Leserbriefe" waren - dankenswerter Weise! - ohne Einflussnahme der Redaktion für jedermann zugänglich. In der Folge entwickelten diese Lesermeinungen ein Eigenleben. Dadurch wurde die SONNTAG-Internetseite zu einem Forum, in dem zahlreiche theologische Fragen diskutiert wurden.
Dieses Forum hat gute und weniger gute Zeiten erlebt (z. B. wurde es regelmäßig sabotiert durch Stör- oder Müllbeiträge) - aber für mich war es äußerst hilfreich und ergiebig. Ich habe dort unbeschreiblich viel gelernt. Diese meine persönliche Bilanz zum Gesprächsprozess stützt sich im Wesentlichen auf die Erkenntnisse aus diesem Forum. Deshalb von hier aus nochmals großen Dank an alle Beteiligten!!! Inzwischen hat "DER SONNTAG" seine Internetseite überarbeitet. Seitdem ist dieses Gespräch kaum noch möglich.
Vorwort 3: In diesem SONNTAG-Forum standen sich zwei relativ geschlossene Fraktionen gegenüber. Deren Positionen waren unvereinbar. Selbst nach zwei Jahren intensiver Diskussion war von einer Annäherung nichts zu spüren; im Gegenteil, der Graben zwischen beiden Lagern wurde immer breiter. (Dazwischen gab es einige wenige "Neutrale"; wobei offen bleiben muss, wo der Grund für diese Neutralität zu suchen ist.) In unserer Landeskirche ist die Lage ähnlich. Es stehen sich zwei große Gruppen gegenüber: Die Kritiker des "Homo-Beschlusses" und dessen Befürworter. Dazwischen gibt es eine - in der Landeskirche wohl große - Grauzone mit Kirchengliedern, die von diesem Thema nichts mehr hören wollen. Wobei hier zu fragen ist, ob letztere verstehen, welch grundsätzliche Fragen durch den Beschluss der Kirchenleitung aufgeworfen werden?
Die Aktivisten auf beiden Seiten sind jeweils ein äußerst bunt gemischtes Völkchen. Auf der einen Seite stehen die Frommen, die Evangelikalen, die Pietisten oder wie immer wir uns bezeichnen. Vom überschäumenden Charismatiker bis hin zum staubtrockenen Bibeltreuen ist alles vertreten. Auf der anderen Seite stehen die Liberalen, die Aufgeklärten, die Linken oder wie auch immer. Auch da sind alle nur denkbaren Geisteshaltungen zu finden. Um unnötige Diskussionen um diese Bezeichnungen zu vermeiden, nenne ich unser frommes Lager A und die Gegenseite B. Das ist (hoffentlich) eine wertfreie Eingruppierung.
(Die A-Fraktion war mit dieser Einteilung nicht unbedingt glücklich. Aber sie hat sie grund-sätzlich akzeptiert. A-Christen wissen um den Graben, der unsere Kirche teilt. Die B-Fraktion lehnt diese "Lagertheorie" ab. Dort wird die Existenz des Grabens konsequent bestritten.)
Wohlgemerkt: Auf der rein menschlichen Ebene hat es Verständnis und Annäherung gegeben - aber eben nicht in der Sache. Da ist der Graben zwischen beiden Seiten unüberwindlich. Und das zeigte sich nicht nur bei den Fragen des Glaubens sondern auch bei denen der Politik. Auch dort standen sich beide Lager relativ geschlossen gegenüber. (Ausnahmen bestätigen die Regel.) Insofern scheint dieser innerkirchliche Graben nur eine Spielart des Grabens zu sein, der derzeit ganz Deutschland zu spalten droht.
Vorwort 4: Wenn in einem schwierigen Gespräch jemand die Aussage eines anderen z. B. "Lüge" nennt, dann belastet dies das Gespräch noch mehr bzw. macht es ganz unmöglich. Dies wird schnell als Kritik an der Person verstanden und erschwert so den Streit auf der Sachebene. Wenn die Aussage aber tatsächlich eine Lüge ist und man spricht das nicht an, dann wird das Gespräch nur oberflächlich und damit nutzlos bleiben.
Nun gibt es begnadete Diplomaten, die können unbequeme Tatsachen sehr elegant ansprechen. Ich gehöre nicht zu denen. Ich bin kein Diplomat. Ich habe nichts als eine poltrige Aufrichtigkeit. Und mit der versuche ich hier, ein grundsätzliches Problem zwischen A und B beim Namen zu nennen. Es ist a) ein heikles Problem und b) eines, das sehr schwer zu greifen und zu beschreiben ist. Von daher dürfte mir kaum jemand zustimmen. Und dennoch, es ist halt meine ganz persönliche Bilanz zum Gesprächsprozess.
II. GLAUBE
Der Rat der EKD hat einen Grundlagentext herausgegeben: "Rechtfertigung und Freiheit", Untertitel: "500 Jahre Reformation 2017". Darin heißt es auf den Seiten 84 und 85: "Seit dem siebzehnten Jahrhundert werden die biblischen Texte historisch-kritisch erforscht. Deshalb können sie nicht mehr so wie zur Zeit der Reformatoren als ′Wort Gottes′ verstanden werden ... ′Dass diese Schriften für uns ... mehr sind als historische Dokumente ... liegt daran, dass wir - wie die Christen und Christinnen vor uns - in ihren Worten die immer neu wirksame und bleibend lebendige Stimme Gottes hören.′ Anders formuliert: Bis heute werden Menschen in, mit und unter diesen Texten angesprochen und im Innersten berührt ... In diesem Sinne können diese Texte daher auch heute noch als ′Wort Gottes′ angesehen werden. Das ist kein abstraktes Urteil, sondern eine Beschreibung von Erfahrungen mit diesen Texten."
Dieses Denken ist für schlichte A-Christen fremd und unverständlich. Denn für uns ist die Bibel "Gottes Wort" - und zwar unabhängig davon, welche "Erfahrungen" wir mit ihr machen: Ob wir das, was wir da gerade lesen, verstehen oder nicht; ob es uns gefällt oder nicht; ob wir dem zustimmen oder nicht. Die Bibel ist selbst dann noch "Gottes Wort", wenn wir beim Lesen vor Langeweile einschlafen.
Für den Rat der EKD dagegen besteht das "Wort Gottes" aus zwei Bestandteilen: einem biblischen Text plus zusätzlich das Angesprochen- bzw. Berührtsein des Menschen. Es wird gewissermaßen zu einer Art Zwei-Komponenten-Kleber: Der Mensch allein kann "Gottes Wort" nicht machen oder sich selber sagen. Doch auch der biblische Text allein ist aus-drücklich nicht "Gottes Wort". Erst beides zusammen, biblischer Text plus die "Erfahrung" des Menschen, ergeben "die immer neu wirksame und bleibend lebendige Stimme Gottes".
Der ehemalige Kirchenpräsident von Hessen und Nassau, P. Steinacker, bringt dieses Denken auf den Punkt ("Zeitzeichen 11/2005, S. 39). Er wurde gefragt: "Ist die Bibel Gottes Wort?" Seine Antwort: "Nein ... Die Bibel ist nicht mit dem Wort Gottes identisch. Das Wort Gottes ist kein Buch, sondern lebendiges Geschehen." Auch Bischof Bohl hat mehrfach betont: "Wir setzen das Wort Gottes nicht mit den Buchstaben der Bibel in eins."
Das Ergebnis ist: A glaubt ein festes, unbewegliches "Wort Gottes" - nämlich das, was "geschrieben steht". Das ist für jedermann an jedem Ort und zu jeder Zeit dasselbe. Es spricht jeden anders an, aber es bleibt immer gleich. Bei B dagegen ist "Wort Gottes" ein Geschehen, Bewegung, Beziehung, etwas das immer in Fluss ist. Denn so wie Erfahrungen sich ändern, so ändert sich auch das "Wort Gottes". Am Ende hat jeder ein anderes, eigenes "Wort Gottes". Und selbst für den einzelnen B-Christen bleibt es niemals gleich, sondern geschieht immer wieder neu.
Diese Haltung wurde auch im SONNTAG-Forum von der B-Fraktion wieder und wieder vertreten. Ein hochqualifizierter B-Kämpe beschrieb sie gerne als "relational". Allerdings, diese "relationale Erfahrungs-Theologie", beschränkt sich nicht nur auf das "Wort Gottes". Sie umfasst "das Göttliche" überhaupt. Alles, was mit Gott zu tun hat, existiere nicht objektiv, d. h. unabhängig von uns, sondern sei relational, sei Beziehung, sei Erfahrung. Alles "Göttliche" sei letztlich ein Geschehen, an dem wir selbst beteiligt sind.
Das beginnt schon bei Gott selbst. Mein gern und oft zitiertes Lieblingsbeispiel stand in der offiziellen (!!!) EKD-Zeitschrift Zeitzeichen 1/2006. Dort schrieb ein kurz vor dem Examen stehender Theologiestudent sinngemäß: Am Anfang meines Theologiestudiums habe ich noch an einen Gott im Himmel geglaubt; heute, am Ende des Studiums, tue ich das nicht mehr. Jetzt glaube ich (Zitat!): "Es gibt Gott nicht außerhalb unseres Glaubens an ihn ... Gott ist da, wo von ihm geredet wird ... Anderswo muss man ihn nicht suchen. Das ist ernüchternd ... weil der Thron im Himmel quasi verlassen ist und leer. Weil da keiner sitzt über den Wolken. Keiner regiert im soundsovielten Himmel."
Hier wird "Gott" verstanden als zwischenmenschliche Beziehung, als eine Art religiös motivierte Kommunikation: "Gott ist da, wo von ihm geredet wird ... Anderswo muss man ihn nicht suchen ..." (mehr dazu weiter unten). Im Sonntag-Forum war B nicht so extrem. Aber auch dort bestand man konsequent auf der Richtigkeit des Bonhoeffer-Zitates: "Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht". Und betonte deshalb: “Ich erlebe Gott nur in Beziehungen.”
Dieses relationale Erfahrungs-Verständnis schließt auch den "Sohn Gottes" ein. Für uns von A ist es eine selbstverständliche Selbstverständlichkeit, dass der eine reale, tatsächlich existierende Person ist. Jesus Christus hat vor ca. 2000 in Israel gelebt, wurde gekreuzigt, ist auferstanden und aufgefahren in den Himmel. Heute ist er - wie auch immer - bei uns alle Tage bis an der Welt Ende. An dieser Person hängt für mich buchstäblich alles: meine Rechtfertigung, mein Heil, mein Glaube, meine Hoffnungen … Ihr vertraue ich im Leben und im Sterben.
B dagegen weicht diese Person auf. Dort glaubt man einen kerygmatischen Christus; d. h. eine letztlich (nur) gepredigte Person, die so, wie wir sie glauben und predigen, niemals existiert hat. Oder wohl richtiger: B glaubt im Grunde - in der Mehrzahl frei erfundene - Geschichten über einen Menschen mit dem Namen Jesus von Nazareth. Ob das, was diese Geschichten erzählen, sich tatsächlich ereignet hat oder nicht, sei letztlich belanglos. Entscheidend sei, dass ich heute und hier "Erfahrungen" mache mit diesen Geschichten; dass sie mich ansprechen; dass eine Beziehung entsteht zwischen diesen Geschichten und mir. Bei B gilt der Glaube letztlich nicht einer Person sondern meint die Beziehung zwischen dem Gläubigen und einem "Kerygma", d. h. einer Botschaft, einer verkündigten Überzeugung.
Dieses Denken klingt - mehr oder weniger deutlich - immer wieder durch. Z. B. wenn Bultmann sagt: "Die Predigt ist das Heilsgeschehen." Dieser Glaube stützt sich nicht auf objektive Fakten oder historische Heils-Tatsachen sondern auf die Predigt, d. h. auf ein bewegliches, sich ständig veränderndes Geschehen, das sich heute und hier vollzieht. Dem ähnlich glaubt B an "den Schöpfer des Himmels und der Erde" - und hält Evolution für eine über jeden Zweifel erhabene Tatsache. Im Forum war zu lesen: "In der Bibel steht nicht, wie die Welt entstanden ist. In der Bibel steht, wie die Welt angesichts Gottes zu verstehen ist – nach den Überzeugungen der Schreiber dieser Texte." D. h., bei B stehen die Worte Schöpfer oder Schöpfung nicht als Bekenntnis zu einem Geschehen in der Vergangenheit - sondern sie beschreiben ein Geschehen heute und hier; nämlich unsere Beziehung zu dieser Welt: den ehrfürchtigen Umgang mit der Natur und den Geschöpfen, eben "Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung".
Diese grundsätzliche Verschiedenheit im Denken und Glauben bei A und B lässt sich nur schwer greifen und noch schwerer in Worte fassen. Und dennoch stehen dahinter völlig unterschiedliche geistige und theologische Welten: Für A gilt, das Göttliche IST - bei B GESCHIEHT es. A treibt THEOlogie; d. h. eine "Wissenschaft", die sich von allen anderen Wissenschaften unterscheidet, weil die Lehre Gott nachfolgt. B treibt theoLOGIE; d. h. eine Wissenschaft, die sein will, wie alle anderen Wissenschaften auch. Hier dominiert die (historisch-kritische) Lehre und Gott ist ihr untergeordnet.
Wohlgemerkt: Die Argumente von B haben alle ihre Berechtigung. Sie sprechen Fragen an, für unseren Glauben nicht unwichtig sind. Doch bleibt immer eine grundsätzliche Differenz: Wir von A glauben AN ETWAS. Unser Glaube richtet sich von uns selbst weg hin auf ein Ziel, ein Gegenüber. Er gilt gewissermaßen einem "Objekt", das unabhängig von uns existiert. Die Vertreter von B dagegen GLAUBEN etwas. Ihr Glaube gilt keinem unabhängigen Gegenüber sondern meint eine Beziehung. Sie glauben ein Geschehen, das nur dann "existiert", das nur dann Realität wird, wenn sie selbst daran beteiligt sind. Oder im Bilde gesprochen: Seinerzeit setzte sich Maria zu Jesu Füßen, während Martha sich "viel zu schaffen machte". A ist Maria, ist Hören, ist Stille, ist Sein; B ist Martha, ist dienen, ist Bewegung, ist Tun.
Die Folge ist: Der Glaube von A enthält immer eine feste, unveränderliche Größe. Menschen ändern sich. Unser Glaube verändert sich. Aber das, woran wir glauben, das "Objekt", auf das hin unser Glaube ausgerichtet ist, das ändert sich nicht. Gott existiert unabhängig von uns und ist unserem Einfluss oder gar Zugriff völlig entzogen. (Und wenn er sich "bewegt" und auf uns reagiert, dann einzig und allein freiwillig, eben aus Gnade.) Jesus Christus ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit (Heb 13,8). Seine Auferstehung ist eine Tatsache, an der niemand rütteln kann. Unsere Rechtfertigung hat ein unerschütterliches und unveränderliches Fundament: "Daß Christus gestorben ist für unsere Sünden" (1Ko 15,3); usw. usw. Das Glaubensbekenntnis nennt Fakten, die Fakten sind - unabhängig davon, was wir darüber denken oder welche "Erfahrungen" wir mit dem Bekenntnis machen. Dies alles wird uns bezeugt in der Heiligen Schrift. "Es steht geschrieben", ist die Grundlage des A-Glaubens. "Sola scriptura" ist das unveränderliche "Objekt", an dem unser Glauben festgemacht ist.
Der B-Glaube dagegen enthält solch eine feste, unveränderliche Größe nicht. Er kennt kein unabhängiges Gegenüber sondern stützt sich halt auf "Erfahrungen". Und die sind grundsätzlich nicht stabil sondern können sich jederzeit ändern. Wenn der Mensch sich verändert, verändern sich auch seine Erfahrungen. Wenn die Umstände sich ändern, macht man halt auch andere Erfahrungen. Dadurch ist der B-Glaube letztlich frei und ungebunden. Er kennt keine verbindlichen Normen. Er ist uneingeschränkt beweglich und vermag sich anzupassen.
Prof. W. Härle schreibt in seiner Dogmatik (S. 136f), "was Christum treibet" sei die Mitte der Schrift. Und die sei "unterschiedlich interpretierbar und unbegrenzter Entfaltung und Differenzierung fähig." Genau das ist der B-Glaube! Er ist "unterschiedlich interpretierbar und unbegrenzter Entfaltung und Differenzierung fähig."
Als Beispiel dafür seien hier genannt das "Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben" und das "Bildungszentrum für Genderfragen". Wohlgemerkt: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Beide sind bzw. waren völlig unterschiedliche Einrichtungen! Aber beide Institute sind "Zeichen". Sie stehen symbolisch für die UNBEGRENZTEN Pendelbewegungen, zu denen Theologie und Glaube in den evangelischen Kirchen fähig sind.
III. Sprache
So stehen sie sich nun gegenüber: eine an ein "Objekt" gebundene Festigkeit und eine bindungslose Beweglichkeit. Diese Vorentscheidung durchdringt und bestimmt letztlich allen Glauben, alles Denken, alles Reden und Handeln - je nachdem, so oder so.
Zum Beispiel das apostolische Glaubensbekenntnis. Das ist ein solches "Objekt", an das Glaube und Denken von A gebunden sind. Dazu gehört auch die Formel "Ich glaube ... geboren von der Jungfrau Maria". Für uns bedeutet die selbstverständlich genau das, was sie besagt. Da sind wir uns einige mit Katholiken, Orthodoxen und sinnigerweise sogar mit den Muslimen. B-Christen dagegen glauben das nicht. Sie sind überzeugt, Maria war keine - im Wortsinne - Jungfrau mehr, als sie Jesus geboren hat.
Folglich stimmen bei ihnen Bekenntnis und Glaube nicht überein. Nun könnte die B-Fraktion diese Übereinstimmung wieder herstellen, indem sie ihr Bekenntnis ändert. Doch das tut sie nicht - warum auch immer. Stattdessen gehen die B-Christen einen anderen Weg: Sie lösen das Wort "Jungfrau" von der ihm innewohnenden Bedeutung und deuten es um. D. h., sie verstehen dieses Wort anders, als das sämtliche Wörterbücher der deutschen Sprache tun. Im Bekenntnis sei mit "Jungfrau" gar keine Jungfrau gemeint, sondern etwas anderes. Allerdings verwendet die B-Fraktion nun keine gemeinsame, für alle verbindliche Deutung. Stattdessen entscheidet jeder B-Theologe selber, was er meint, wenn er dieses Wort benutzt. In der Folge bedeutet "Jungfrau" beim ersten, "dass man in Jesus Gott begegnet" (Kirchenpräsident Steinacker); beim nächsten, "dass Jesus in noch ganz anderer Weise als vor ihm Johannes der Täufer mit dem Heiligen Geist und mit Gott verbunden ist" (Prof. Lindemann); beim dritten, "Gott kommt den Menschen näher, als dieser sich selbst nahe zu sein vermag" (Prof. Jüngel); beim vierten ...
Kurz: Die "Jungfrau" im Bekenntnis wird von ihrer Bindung an die Sprache gelöst. Dadurch wird sie frei beweglich. So kann jeder B-Christ dieses Wort deuten, wie es ihm gerade gefällt - und anschließend aus ganzem, tiefsten Herzen voller Überzeugung bekennen: "Ich glaube ... geboren von der Jungfrau Maria".
In Märchen spielen Zaubersprüche mitunter eine wichtige Rolle. Wer die kennt und richtig benutzt, dem werden Dinge möglich, die ohne sie nicht möglich sind. Im wahren Leben haben diese Funktion heute u. a. PIN-Nummern bei der EC-Karte oder Passwörter beim Computer. Das sind willkürliche Zahlen- oder Buchstaben-Kombinationen, die in sich keinerlei Sinn oder Bedeutung haben (müssen). Wenn man sie aber am richtigen Ort richtig anwendet, machen sie Dinge möglich, die ohne sie halt nicht möglich sind; z. B. den Zugriff auf Konten, Dateien, Netzwerke usw.
Bei B ist "Ich glaube ... geboren von der Jungfrau Maria" zu solch einem Zauber-PIN-Passwort geworden. Diese Formel ist nur noch eine Buchstaben-Kombination, die in sich keinerlei fest definierten Sinn oder Bedeutung mehr trägt. Aber sie ermöglicht den Zugriff auf die "Institution Kirche". Wer dieses Passwort im richtigen Moment richtig benutzt, darf dort Karriere machen. Man spricht gelegentlich diese Formel und kann dann in kirchliche Ämter oder Leitungsaufgaben gewählt werden. Wer diese Formel aber nicht spricht und z. B. sagt, "das glaube ich nicht", bekommt Probleme und wird vermutlich nicht gewählt.
Dieses Schicksal der bindungslosen Beweglichkeit teilt die "Jungfrau" mit allen wichtigen Begriffen des christlichen Glaubens. Sie alle werden in unserer Kirche - weithin - wie Zaubersprüche oder Passwörter verwendet. D. h., sie tragen kaum noch verbindlichen Sinn in sich. Sie transportieren keine eindeutige, für jedermann verständliche Bedeutung mehr – sondern sind nur noch taktische Instrumente, die man einsetzt, um bestimmte Ziele zu erreichen. Dazu einer meiner Lieblingszeugen aus dem B-Lager, der ehemalige Wolfsburger Superintendent Dr. H. Koch. Der schreibt in "Die Kirchen und ihre Tabus": "Man bringt ′Das Evangelium′ immer dann ins Spiel, wenn dessen Autorität als das Wort Gottes einem kirchlichen Anliegen besondere Autorität verleihen soll. Da sie so gut wie nie mit Inhalt gefüllt wird, eignet sich die Worthülse ′Evangelium′ bestens dazu, wie ein Nagel benutzt zu werden, den man bei Bedarf in die Wand schlägt, um ein jeweils anderes, aber in den jeweiligen Zusammenhang passendes Bild aufzuhängen."
Die Worthülse "Evangelium" wird so gut wie nie mit Inhalt gefüllt. D. h., sie beinhaltet nicht eine konkrete ′gute Nachricht′ - sondern ist frei beweglich und wird taktisch eingesetzt. Sie wird verwendet, wie man es gerade braucht. Zum Beispiel beim evangelischen Kirchenverständnis: Kirche sei dort, "wo das Evangelium rein gepredigt wird". Dabei wird aber "so gut wie nie" geklärt, was genau dieses reine Evangelium denn besagt; und noch weniger, wie sich das reine Evangelium von unreinem, von schmutzigem Evangelium unterscheidet. Kurz: Das ev. Kirchenverständnis hat schon lange keine sinnvolle Bedeutung mehr. Es dient nur noch als taktisches Instrument der evangelischen Theologie und Kirchen-politik. "Das Evangelium rein predigen" wird benutzt wie ein Zauberspruch, mit dessen Hilfe man unbequeme (katholische) Kritiker bannt und deren Kritik unschädlich macht.
Oder: Das oben angeführte Zitat "Gott ist da, wo von ihm geredet wird ... Anderswo muss man ihn nicht suchen", ist zweifellos eine eher seltene und steile Aussage. Doch auch die gängigeren Deutungen der Buchstaben-Kombination "Gott" sind nicht besser: "die Alles bestimmende Wirklichkeit" oder "der Grund der Möglichkeit von überhaupt allem" oder "der Grund allen Seins" ... Das ist sicher nicht falsch - doch was soll ein durchschnittlich intelligenter Nichttheologe sich darunter vorstellen? Diese schwammigen, nebulösen Aussagen kann jeder deuten, wie er es braucht. Am Ende reden alle laut und viel von "Gott". Aber es bleibt im Grunde völlig offen, was mit diesem Wort gesagt werden soll. Der eine sagt "Gott" und meint dieses, der nächste jenes, der dritte wieder anderes, der vierte ...
Das wichtigste Zauber-PIN-Passwort allerdings lautet "Jesus Christus". Das ist zunächst ja nichts weiter als ein beliebiger Name. Da diese Person seit fast 2000 Jahren nicht mehr unter uns ist, kann sie nicht für sich selber sprechen. Einen offiziellen Anwalt, der ihre Interessen vertritt, gibt es auch nicht (bzw. wird in der ev. Theologie nicht anerkannt). Folglich kann man diesem Namen sonst was unterstellen. Um das zu verhindern, bindet A ihn an die Bibel. Was dort geschrieben steht, ist letzte Autorität und Norm. Allein die Bibel darf für "Jesus Christus" sprechen und seine Interessen vertreten. "Sola scriptura" entscheidet, wer "Jesus Christus" ist, welche Bedeutung er für uns hat und was er uns sagen will.
Bei B dagegen lehnt diese Bindung ab. Also lässt man sich unzählige Argumente einfallen - wissenschaftliche, fromme, bauernschlaue ... - um "Jesus Christus" von der Bibel loszulösen und ihn frei beweglich zu machen. Z. B. wird behauptet, die Evangelien beschrieben überwiegend keine historischen Tatsachen sondern seien Glaubens-Erzählungen. D. h., sie schildern nicht, was Jesus Christus tatsächlich gesagt und getan hat, sondern seien (überwiegend) frei erfundene Geschichten, die ihm nachträglich angedichtet wurden. Die ersten Christen hätten so ihren Glauben beschreiben und verständlich machen wollen.
Auf deutsch: der tatsächliche Jesus Christus sei eine Sache und was die Evangelien über ihn aussagen eine andere. Folglich stimme das, was wir heute glauben und predigen, gar nicht überein mit dem, was vor 2000 Jahren geschehen ist. Im Ergebnis glaubt B allen Ernstes zwei Christusse: einen historischen Jesus; d. h. die Person, die damals tatsächlich gelebt hat, und halt einen kerygmatischen Christus; d. h. eine (zu großen Teilen) frei erfundene Gestalt, die heute und hier geglaubt und verkündigt wird.
Die Logik dahinter: Wenn die Glaubensgeschichten im NT nicht an die Geschichte gebunden sind, ist es der kerygmatische Christus auch nicht. Dadurch wird er frei beweglich und geradezu zum Inbegriff eines Passwortes. Denn diese Buchstabenkombination lässt sich letztlich vor jeden Karren spannen. Oder wie Dr. H. Koch sinngemäß formuliert: "Da sie so gut wie nie mit historischen Fakten gefüllt ist, eignet sich die Worthülse ′Jesus Christus′ bestens dazu, wie ein Nagel benutzt zu werden, den man bei Bedarf in die Wand schlägt, um ein jeweils anderes, aber in den jeweiligen Zusammenhang passendes Bild aufzuhängen."
Anders formuliert: Man kann - muss nicht, aber kann - zwei, drei passende Zitate in der Bibel suchen und sich daraus genau den "Jesus Christus" basteln, den man für das jeweilige Anliegen braucht. Und in der Tat, durch unsere Kirche spuken die unterschiedlichsten kerygmatische Gestalten, die alle sie auf den Namen "Jesus Christus" hören. Mit diesem UNBEGRENZT beweglichen Zauberspruch kann buchstäblich jedes Anliegen geheiligt und religiös verklärt werden.
Ein wunderbares Beispiel für diese Passwortfunktion liefert derzeit der Deutsche Evangelische Kirchentag. Dort sind polnische Christen und tschechische Christen und französische Christen, d. h. Christen aus aller Welt, herzlich eingeladen mitzuwirken. Nur jüdische Christen werden konsequent ausgeschlossen. Die Begründung lautet (s. DER SONNTAG 49/14): Es gebe "einen Beschluss des Kirchentagspräsidiums, wonach ′christlichen Gruppen mit judenmissionarischer Intention und Praxis keine aktive Teilnahme gewährt werden könne′ ... Juden fehle nichts zum Heil, wenn sie das christliche Bekenntnis, dass Jesus für alle gestorben ist, nicht teilten." Auf deutsch wohl: Die Buchstaben-Kombination "Jesus Christus" ist nur ein dekoratives Element im christlichen Glauben. Mit der Sache selber, z. B. unserer Rechtfertigung, hat sie nichts zu tun. Folglich brauchen Juden dieses Passwort nicht. Sie können ihre eigenen Passwörter verwenden (z. B. "des Gesetzes Werke"). Mit denen erzielen sie die gleichen Ergebnisse wie Christen mit "Jesus Christus".
Ein anderes Passwort, das in unserer Kirche gern benutzt wird, ist die Buchstaben-Kombination "Martin Luther". Auch die wird gerne angewendet wie ein grobes Sieb. Man fischt zwei, drei passende Zitate aus Luthers Schriften und alle anderen, die unbequemen, bleiben unbeachtet. Dadurch hält sich in der EKD der Mythos: Wer als erster Martin Luther sagt, hat gewonnen. Ein wackerer B-Kämpe gab sich sogar überzeugt, Dr. Martin Luther sei "der Urvater aller B-Theologie", denn die gründe ja auf seinem Auslegungsprinzip "Was Christum treibet"!
Auf den Punkt gebracht: Jungfrau, Gott, Jesus Christus, Heiliger Geist, Schöpfer, Auferstehung, Vergebung der Sünden, Rechtfertigung, Heil, ewiges Leben ... Dank der UNBEGRENZTEN Beweglichkeit ihrer Passwort-Sprache, können B-Christen aus ganzem, tiefsten Herzen voller Überzeugung einen Glauben bekennen, den sie gar nicht haben - und erhalten so Zugriff auf die evangelische Kirche.
Als Summe bleibt auch hier: Wir von A glauben AN ETWAS. Wir weisen weg von uns selbst. Wir weisen hin auf ein festes, unbewegliches "Objekt", dem unser Glaube gilt: "DAS glauben wir!" Und dafür brauchen wir eine "feste, unbewegliche" Sprache; eine Sprache, die klar, eindeutig und verständlich ist. Schließlich soll jeder wissen und verstehen, WORAN wir glauben.
Die Vertreter von B dagegen GLAUBEN etwas. Sie haben nichts, worauf sie zeigen könnten. Deshalb berufen sie sich auf Beziehungen, auf bewegliche, nicht greifbare Erfahrungen. Dafür bedienen sie sich einer "beweglichen" Sprache; einer Sprache, die fließend, die mehrdeutig, die nicht greifbar ist. Man kann nie sicher sein, was genau da gesagt wird.
IV. Argumente
Kurz nach dem Homo-Beschluss in Sachsen schrieb Bischof Bohl an seine Gemeinden (Pastor@lbrief 2-12): Die Kirchenleitung wusste "sich dem Bemühen um die Wahrheit im Hören auf die Schrift verpflichtet" und es "bleibt zu hoffen, dass die Entscheidung der Kirchenleitung sich als schriftgemäß ... bewähren wird." Es ist nur ein Geruch, aber ein häufiger und durchdringender Geruch: Wenn sie sich Vorteile davon versprechen, werden auch Liberale fromm. Soll heißen: Bei B sind nicht nur Glauben und Sprache frei beweglich sondern auch die theologischen Argumente.
Wir von A glauben AN ETWAS. Wir weisen hin auf das "Objekt" unseres Glaubens. Wir stehen in der Tradition von Grünewald, Cranach usw., die ihre Glaubenszeugen mit ausgestreckten Zeigefinger gemalt haben: DAS glauben wir! In der Folge hat - oder sollte zumindest haben - unsere Argumentation immer etwas Bekenntnishaftes: DAS bekennen wir. DAZU stehen wir!
B dagegen kann das nicht. (Ein B-Kämpe bestätigt dies ausdrücklich: "Wenn ich von Gott rede … kann ich auf nichts zeigen"!) Wohlgemerkt: In den Fragen von Moral und Ethik bezieht B eine ähnliche Haltung. Da wissen die B-Christen sehr genau, was richtig ist. Sie setzen sich konsequent und engagiert dafür ein: "Homosexuelle, Flüchtlinge, Muslime ... müssen unterstützt werden! DAS glauben wir! DAFÜR setzen wir uns ein!" Im Blick auf Gott, d. h. beim "Glauben an sich", kennen B-Christen solch eine positive Überzeugung nicht. Sie haben ungeheures Wissen, gewaltige Bildung, hochkomplizierte (historisch-kritische) Methoden ... kurz: eine großartige Wissenschaft. Aber eine Wahrheit kennen sie nicht. Sie haben kein "Objekt", auf das sie zeigen könnten. Ein "DAS glauben wir" bzw. ein Gott, der diesen Namen verdient, ist mir dort noch nicht begegnet. Sie haben viele kluge und fromme Worte, eben eine glänzende theoLOGIE - aber durchdachte, begründete, intellektuell belastbare Glaubensüberzeugungen, sprich: eine positive THEOlogie, habe ich bei ihnen nicht gefunden.
Wenn dann - was selten genug vorkommt - in unserer Kirche einmal nicht über Ethik gestritten wird sondern über den "Glauben an sich", über Theologie im engeren Sinne, kann B dem Bekenntnissen von A nichts Gleichwertiges entgegensetzen. Ganz einfach, weil man das nicht hat. Nun könnte B diesen Mangel ja eingestehen und die eigene Haltung darlegen bzw. begründen. Doch das tut man nicht. Stattdessen verfährt B hier wie schon bei der "Jungfrau Maria": Man argumentiert beweglich.
Soll heißen: Die B-Argumentation ist ihrem Wesen nach nicht Bekenntnis sondern RE-Aktion. B RE-agiert auf Impulse, die von anderen kommen. Man sucht, Anforderungen gerecht zu werden, will bestimmte Ziele erreichen. Und dafür muss man sich gegenüber anderen behaupten, muss sich durchsetzen. Zu diesem Zweck passt man sich an und tut, was dafür nötig ist.
Im Ergebnis liegt nicht nur über dem B-Glauben und der B-Sprache sondern über der gesamten B-Argumentation der Geruch von Taktiererei. Auch sie hat etwas Fließendes, Verschwimmendes bzw. halt etwas bindungslos Bewegliches. Häufig - nicht immer, aber häufig - empfand ich die Diskussionen wie Stochern im Nebel. Sie erinnerten an den berühmten Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln. "Es ist selbst in Nebenfragen so gut wie unmöglich mit Ihnen wirklich zu diskutieren. Ich kenne kaum jemanden, der sich so um klare Antworten herumwindet, wie Sie", stöhnte einmal ein A-Kämpe. Bei diesem Herumwinden waren - unter anderem! - immer wieder drei Standard-RE-Argumente, sprich: rhetorische Nebel-Taktiken, zu beobachten: "Wir auch!", "Ich nicht" und "Ihr selber!"
Zum 1. Standard-RE-Argument "Wir auch!": Auch in den ev. Kirchen gibt es so etwas wie "Allgemeine Geschäftsbedingungen". Es wird erwartet, dass gewisse Verhaltensregeln, bestimmte Umgangsformen, eine spezielle Sprache usw. beachtet werden. B kennt diese AGB und richtet sich danach. Man betet, spricht das Glaubensbekenntnis und beruft sich auf die Bibel. Auch sonst redet und tut man alles, was von guten Christen erwartet wird.
Wenn es dennoch zu Meinungsverschiedenheiten kommt und A trutzig bekennt, RE-agiert B unweigerlich: "Wir auch! Wir glauben das auch!" Z. B. hat die SBI den Homo-Kirchen-leitungsbeschluss unter Berufung auf die Bibel kritisiert. Prompt RE-agierte der Bischof: "Wir auch! Auch wir berufen uns auf die Bibel!" und verkündete, die Kirchenleitung habe "im Hören auf die Schrift" gehandelt (s. oben). Und die B-Vertreter in der Arbeitsgruppe "Homosexualität in biblischem Verständnis" riefen: "Wir auch! Wir sind auch fromm!“ Und betonten deshalb "... dass der Geist Gottes verletzt wird", wenn jemand anderer Meinung ist als sie. Denn: "Auch die gelebte Homosexualität untersteht dem Liebesgebot und somit dem Anspruch und dem Zuspruch Gottes." Oder als ein Beispiel aus einer unerschöpflichen Flut: In der aktuellen SONNTAG-Ausgabe 5/15 äußert eine – ansonsten theologisch äußerst bewegliche – Dame: Ich auch! „Ich selbst verstehe mich gerne auch als evangelikale Christin. Ich halte sehr viel von einer persönlichen Bekehrung, die sich täglich wiederholt. Ich halte auch sehr viel von Christi Kreuz als Zentrum unseres Glaubens, von der Zentralstellung der Bibel, von einer Frömmigkeitspraxis."
Das SONNTAG-Leserbrief-Forum erinnerte gelegentlich an das Märchen von Hase und Igel. Die A-Vertreter sind gerannt und gerannt, doch von B tönte ihnen stets ein fröhliches "Wir sind schon da" entgegen. Wir von A konnten bekennen, was wir wollten - B reklamierte diese Position auch für sich: "Wir auch! Wir glauben das auch!" Da waren dann B-Aussprüche zu lesen wie: "Wir sind keine Bibelkritiker. Ganz im Gegenteil, wir verteidigen die Bibel ... Wir, die wir bibeltreu sind, nehmen die Bibel ernst ... Ich nehme die Bibel auch wortwörtlich ... Weil Gott mich gerufen hat und mir sein Wort in seinem Sohn Jesus Christus geoffenbart hat und weil er seine Hand auf mich gelegt hat, bin ich Christ". Nochmals: All dies stammt von engagierten B-Aktivisten!
Die Schrift, Geist Gottes, der Zuspruch Gottes, Bekehrung, Christi Kreuz, bibeltreu ... Es ist immer wieder der gleiche Geruch: Wenn es Nutzen verspricht, legt B eine Frömmigkeit an den Tag, die ihnen sonst nicht anzumerken ist. Bei Bedarf weiß man wohlklingende Begründungen zu finden bzw. sich hoch theologisch und tief fromm zu geben. Wenn es zum Meinungsstreit kommt, sind die allermeisten B-Vertreter nicht bereit, der A-Fraktion auch nur den kleinsten Vorsprung in Glaubens-, Bekenntnis- oder Bibeltreue zuzugestehen.
Nun finden sich allerdings jede Menge Aussprüche von Theologen, Kirchenfürsten und sonstigen B-Vertretern, die diese Treue nicht nur in Frage stellen sondern regelrecht ausschließen. Falls wir von A dann solche Aussagen zitieren, treffen wir auf das
2. Standard-RE-Argument "Ich nicht!": Wenn es gegen A geht, treten die B-Aktivisten relativ geschlossen auf und halten zusammen. Wenn aber umgekehrt das B-Lager mit ernsthafter und begründeter Sachkritik konfrontiert wird, dann löst sich dieses geschlossene Lager schlagartig auf und zerfällt in lauter einzelne Einzelwesen. Es scheint niemanden zu geben, der für das B-Ganze Verantwortung übernimmt. Jedes dieser B-Einzelwesen will ausschließlich nur für sich selbst sprechen und ausschließlich nur für sich selbst verantwortlich sein. Und ausgerechnet auf dieses einzelne B-Einzelwesen, mit dem ich gerade spreche, hat mit dem kritisierten Zitat nichts, aber auch gar nichts, gemein.
Selbstverständlich weiß man das zu begründen: "So hat man vielleicht vor 30 Jahren gedacht, aber heute tut das keine mehr ... Der das geschrieben hat, ist ein Sonderling. Ich denke so nicht ... Da haben sie was falsch verstanden. Das ist doch ganz anders ... Machen sie mich nicht verantwortlich für Überzeugungen, die ich nicht teile …" So wissen die B-Kämpen viel tausend Windungen, sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen und die Kritik ins Leere laufen zu lassen.
(In Klammer: Eine Spielart dieses 2. Standard-RE-Argumentes ist das Beleidigt- oder Empörtsein. Viele B-Vertreter teilen gerne und heftig aus. Wenn sie aber selber einstecken sollen, reagieren sie ziemlich dünnhäutig. Auch wir von A haben Schmerzpunkte, wo wir Mühe haben, sachlich zu bleiben. Doch bei B passierte das ungleich häufiger. Im SONNTAG gehörte es fast zum täglichen Brot, dass B-Kämpen sooo verletzt waren oder enttäuscht oder beleidigt oder empört. Und weil sie sooo verletzt waren oder enttäuscht oder beleidigt oder empört, meinten sie wohl, die an ihnen geübte Kritik sei automatisch unberechtigt und man brauche sich gar nicht erst mit ihr auseinanderzusetzen. Klammer zu.)
In einem (schriftlichen) Gesprächsprozess wird viel gesagt. Dadurch wird es möglich, die B-Einzelwesen mit den Schwachstellen ihrer eigenen Argumentation zu konfrontieren. Dann kommt unweigerlich
3. Standard-RE-Argument "Ihr selber! Ihr selber tut doch genau das, was ihr da kritisiert. Deshalb seid ihr a) Heuchler und b) ist eure Kritik unbegründet und falsch." Zum Beispiel hat OLKR Dr. P. Meis im Rahmen des Gesprächsprozesses 20 Thesen veröffentlicht. In These 8 schreibt er: "Kritiker des Kirchenleitungsbeschlusses müssen erklären können, warum sie ausschließlich bei ausgewählten Schriftstellen zur Homosexualität dem Buchstaben folgen." Durch das Wörtlein "ausschließlich" unterstellt er hier: "Ihr selber! Ihr selber nehmt die Bibel nicht wörtlich sondern deutet und interpretiert sie. Nur ′ausschließlich′ bei den Schriftstellen zur Homosexualität tut ihr das nicht und pocht auf den Buchstaben. Diese Haltung ist 1. inkonsequent und unangemessen. Deshalb ist 2. eure Kritik unbegründet und falsch. Denn 3. wenn ihr selber die Bibel deutet und interpretiert, dann dürfen wir das auch."
Im SONNTAG-Forum war dieses "Ihr selber!" allgegenwärtig. Ganz egal welche Kritik A gegen B vorbrachte, sie kam unweigerlich zurück. Es war nur eine Frage der Zeit, bis B genau das bei uns kritisierte, was wir vorher bei ihnen bemängelt hatten. Das Ganze erinnerte an ein Tennis-Match: A schlägt den Ball ins B-Feld. Von dort wird er sofort zurückgeschlagen und dann ging es - falls A das Spiel mitspielte - immer lustig hin und her: "Ihr lest eine Vorgefasste Meinung in die Bibel hinein und sucht euch nur die passenden Zitate dazu ... Ihr selber! Ihr sucht euch doch nur die Stellen heraus, die euch in den Kram passen ... Ein kerygmatischer Christus ist doch nur eine frei erfundene Gestalt, letztlich ein von Menschen gemachtes Bild ... Ihr selber! Ihr selber glaubt doch auch an einen kerygmatischen Christus - ihr nennt ihn nur anders ... usw. usw." Besonders pfiffig war der Verweis auf Mt. 18,8f: "Ihr selber! Wenn ihr Frommen euch nicht die Hände abhackt und die Augen ausreißt, nehmt ihr die Bibel nicht ernst." Mit diesem durchschlagenden Argument wurde mehrfach Kritik an der bindungslosen Beweglichkeit des B-Bibelverständnisses zurückgewiesen.
Der Haken bei dieser RE-Aktion: Selbst wenn ein Kritiker den Fehler, den er bei anderen kritisiert, selber machen sollte, so bleibt der Fehler dennoch ein Fehler. Auch wenn wir von A all das, was wir bei B kritisieren, selber falsch machen würden, so bliebe es dennoch falsch. Das Argument "Du selber" löst kein einziges Problem. Es ist letztlich nur ein taktisches Instrument, um begründeter Sachkritik auszuweichen; sprich: um sich rhetorisch durchzusetzen und unbequemen Kritikern das Maul zu stopfen.
(In Klammer: Eine Spielart von "Ihr selber!" ist "Die da!" oder "Wenn ihr nicht lieb seid und alles tut, was wir von euch erwarten, kommt der schwarze Mann. Und dann passieren furchtbar schlimme Dinge!" Als schwarzer Mann fungieren dann vorzugsweise die Evangelikalen aus dem Bible Belt, die Kreationisten, die Fundamentalisten, die Rechten, die Rassisten … Und weil „Die da!“ hinter den sieben Bergen dumm und gefährlich sind, sind die Überzeugungen von A allesamt grundsätzlich immer falsch. Klammer zu.)
Das waren nur Beispiele. Die taktische Beweglichkeit der RE-Argumentation von B ist viel, viel bunter – eben UNBEGRENZT. "Dank" dieser Beweglichkeit ist in unserer Kirche seit Jahrzehnten immer wieder das gleiche Spiel zu beobachten: B setzt in den Leitungsgremien eine kleine, taktisch angepasste Neuerung durch. Die A-Frommen protestieren und bekennen. B RE-agiert taktisch angepasst (z. B. mit dem verstärkten Einsatz von Passwörtern) und sitzt die Sache aus. Wenn A sich wieder beruhigt hat, drückt B die nächste kleine, taktisch angepasste Neuerung durch. Die A-Frommen protestieren und bekennen. B RE-agiert taktisch angepasst, sitzt die Sache aus und drückt die nächste Neuerung durch ... Und wenn sie nicht gestorben sind, protestieren und bekennen die A-Frommen in hundert Jahren immer noch. Doch inzwischen hat B alle wichtigen Posten besetzt und damit den A-Bekennern praktisch die gesamte Kirche unter dem Hintern weggeklaut. Im Moment hievt B - taktisch angepasst - gerade die praktizierte Homosexualität in die sächsischen Pfarrhäuser. Und wenn der sächsischen BEKENNTNIS-Initiative endgültig der Atem ausgegangen sein wird, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis die Homo-Segnung taktisch angepasst hinterher gehievt wird.
So wird es fortgehen bis zum jüngsten Tag. Es sei denn, die frommen A-Bekenner verstehen endlich das Wesen des Konfliktes "Bekenntnis gegen Taktik" und RE-agieren ihrerseits angemessen auf diese Herausforderung. Doch solange das nicht geschieht, werden ihre Bekenntnisse ins Leere laufen und sie selber immer nur die zweiten Sieger sein.
V. Gegen
Durch die bindungslose Beweglichkeit von Glauben, Sprache und Argumentation sammelt sich unter B ein sehr, sehr buntes Völkchen. Dort finden sich die unterschiedlichsten Überzeugungen. In einem Punkt aber sind sich alle einig: Was die freie Beweglichkeit beeinträchtigen könnte, wird abgelehnt. Objektive "feste" Wahrheiten, eine vom Menschen unabhängige Autorität, verbindliche Gebote, ein von Gott gegebenes Richtig oder Falsch dürfen nicht sein. Genau das aber findet sich in der Bibel. Und genau deshalb wendet sich B auch und in erster Linie GEGEN die Bibel. Im Grunde ist die B-Theologie ein großer, wütender Sturmlauf GEGEN die Autorität der Heiligen Schrift.
Denn: die Bibel steht für sich selbst und sie spricht für sich selbst. Sie hat eine eigene Meinung. Eine unabhängige, zeitlose Meinung, die uns Evangelium, gute Nachricht, ist. Aber die Bibel redet auch Klartext. Sie sagt "ja oder nein!" und "das ist richtig oder das ist falsch!" und "du sollst oder du sollst nicht!" Sie gibt uns oft genug eine klare Linie vor, ohne Wenn und Aber. Dadurch legt sie sich und uns fest. Die Heilige Schrift akzeptiert keine bindungslose Beweglichkeit.
Das aber ist für B ein Problem. Also sucht man, dem Klartext der Bibel aus dem Wege zu gehen. Man weicht die Autorität der Schrift auf und mogelt sich um das "Es steht geschrieben" herum. Kurz: Bei B weiß man vieltausend Weisen, Gottes Wort beweglich zu machen. Die häufigste dieser Weisen ist: man entmündigt die Bibel; sprich: sie darf nicht mehr für sich selber sprechen. Stattdessen wird ein Vormund über sie gesetzt. Der entscheidet dann, was die Bibel sagen darf und was nicht. Allerdings, dieser Vormund ist ebenfalls nicht mündig. Auch er ist einem anderen Vormund unterstellt. So dass die Bibel am Ende zwei Vormünder über sich hat: zunächst einen kleinen und darüber noch einen großen.
Der Name des großen ist immer gleich. Er lautet "die bindungslose Beweglichkeit" oder "die Bedürfnisse des Theologen". Der Name des kleinen Vormundes dagegen ist Legion, denn ihrer sind viele: Christus, Geist, Wort Gottes, Mitte der Schrift, was Christum treibet, Literalsinn usw. usw.
Zum Beispiel schreibt OLKR Meis in der7. seiner Thesen: "Wir glauben nicht an die Bibel, sondern an den fleischgewordenen Gott." Anderswo heißt es: Gott wurde Mensch und nicht Buch" oder "das Christentum sei in erster Linie Christusglaube und nicht Buchreligion". Auch im SONNTAG betonte die B-Fraktion wieder und wieder: "Ich fühle mich an Jesus Christus gebunden - nicht an die Bibel" oder "Was ist Gottes Wort? Da gibt es die einen, die sagen: Das geschriebene Wort der Bibel ist Gottes Wort. Und es gibt die anderen, die sagen: Jesus ist Gottes Wort. Ich halte die zweite Aussage für richtig und die erste für falsch."
Diese Argumente haben zunächst ja eine gewisse Berechtigung. Aber: wir von A glauben der Bibel. Deshalb sind Bibel und Christus für uns eine "Zweieinigkeit". Denn allein die Bibel sagt uns, wer Christus ist. Und von diesem biblischen Christus her lesen wir die ganze Heilige Schrift. B dagegen trennt beide und behandelt sie wie Gegensätze; sprich: es werden die Bibel und der Sohn Gottes gegeneinander ausgespielt. Wenn dann die Bibel in heiklen Fragen "nein" sagt, wird kurzerhand "Christus" befragt. Und - wen wundert′s - der sagt prompt ja und schon hat B das gewünschte Ergebnis.
Ähnlich verfuhren die B-Vertreter in derArbeitsgruppe "Homosexualität in biblischem Verständnis". Sie spielten die Bibel und den Geist Gottes gegeneinander aus, indem sie auf der Unterscheidung von Geist und Buchstaben bestanden. Im SONNTAG war ähnliches zu lesen: "Das Christentum ist nämlich keine Schriftreligion, sondern eine pneumatische Bewegung." Soll heißen: Da die Buchstaben der Schrift eindeutig sagen "Problem", befragen diese B-Vertreter eben den Geist. Und siehe da, der antwortete "kein Problem" - und schwups hat die Kirchenleitung grünes Licht für praktizierte Homosexualität in evangelischen Pfarrhäusern.
Bischof Bohl wiederum spielt die Bibel und das Wort Gottes gegeneinander aus: "Wir setzen das Wort Gottes nicht mit den Buchstaben der Bibel in eins." D. h., für ihn ist der Wortlaut der Bibel eine Sache und das Wort Gottes eine andere. Wenn dann die Bibel sagt "falsch", schlägt er in seinem "Wort Gottes" nach, und - welch Zufall - das sagt "richtig" und liefert ihm genau die Antwort, die er wünscht.
Sohn Gottes, Geist Gottes, Wort Gottes … Sie alle werden GEGEN die Bibel in Stellung gebracht, um deren Autorität zu unterlaufen. Oder: einst waren "die Mitte der Schrift" und "was Christum treibet" Orientierungs-Hilfen, um die Bibel besser zu verstehen. Heute werden sie GEGEN die Heilig Schrift eingesetzt. Sie dienen als Instrumente, mit deren Hilfe der biblische Klartext vernebelt wird.
So geht es in unserer Kirche fort und fort. Wenn die Bibel sagt, was man hören will, dann wird sie emporgehoben und gefeiert. Aber wehe, sie sagt etwas, was den B-Theologen nicht gefällt. Dann wird sie nach allen Regeln der historisch-kritischen Kunst zerlegt. Und an ihre Stelle werden all die kleinen Vormünder gesetzt. Da die nirgendwo definiert sind, kann - muss nicht, aber kann - mit deren Hilfe dieser buchstäblich alles theologisch begründet werden; sprich: die bindungslose Beweglichkeit ist garantiert.
Zugegeben, das ist sehr salopp formuliert. Dennoch ist es eine Tatsache: all diese kleinen Vormünder sind letztendlich nur leere Sprechblasen. Jeder Theologe kann sie nach eigenem Ermessen mit seinen ganz persönlichen Überzeugungen füllen. Oder sie sind wie Joker im Kartenspiel. Sie können nach Belieben jede andere Karte ersetzen. Denn sie alle sind "unterschiedlich interpretierbar und UNBEGRENZTER Entfaltung und Differenzierung" fähig, wie Prof. W. Härle treffend bemerkt.
(In Klammer nur am Rande: Diese Beweglichkeit schafft noch ein weiteres, vermutlich ungleich größeres Problem. Die Bibel spricht für sich selbst. D. h., sie bezeugt, "was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat ...". Christus, Geist, Wort Gottes und all die vielen kleinen Vormünder reden nur, wenn andere es für sie tun. Sie sagen lediglich das, was der Theologe ihnen in den Mund legt. Der aber kann nur bezeugen, was sein Auge gesehen und sein Ohr gehört hat, was ihm selber in Herz und Sinn gekommen ist, was er selbst bereitet hat ... Dadurch aber redet Kirche letztlich nur, was Menschen ersonnen haben, d. h. was alle anderen auch ohne Kirche ohnehin schon wissen (können). Sie benutzt zwar eine eigene religiöse Sprache, aber in der Sache hat sie nichts Eigenes mehr zu sagen. Eine Kirche, die nicht an die Bibel selbst gebunden ist, wird buchstäblich nichts-sagend und damit belanglos.
Auch noch am Rande: Nur leider, selbst die A-Vertreter im Forum argumentierten nicht wirklich von der Bibel her. Wir vertreten zwar eine fromme Theologie - aber unser Denken und Reden wächst oft genug nicht aus der Bibel heraus. Auch wir bezeugen häufig nur das, was sich in unseren frommen Herzen findet und eben nicht das, was die Bibel sagt. Lebendige, fruchtbare Bibelkenntnis scheint heute auch in frommen Kreisen eher Mangelware zu sein. Bei B allerdings geht sie gegen null. Dort hat man 10 oder 20 Standard-Bibelstellen, die zum jeweiligen Denken passen und immer wieder zitiert werden. Aber eine ernsthafte Argumentation von der Bibel her habe ich nicht bemerkt, nicht ein einziges Mal. Klammer zu.)
Eine andere Weise im Sturmlauf GEGEN die Autorität der Heiligen Schrift ist die Beschimpfung. Im SONNTAG liefen die B-Kämpen regelmäßig zu Höchstform auf, wenn sie GEGEN die Bibel argumentierten. FÜR die Bibel traten sie nur äußerst selten ein (und wenn, dann als RE-Aktion unter dem Vorzeichen "Wir auch"). Dagegen waren sie jederzeit bereit, an ihr herumzumeckern, zu mäkeln, sie madig zu machen. Zu diesem Zwecke beklagte B sich über abgehackte Hände, fliegende Berge, Steinigungen, Prügelstrafe, Mischgewebe, wiederkäuende Hasen, 6-Tage-Schöpfung und und und ... Kurz: man weiß jede Menge Bibelstellen oder angebliche Widersprüche, die beweisen sollen: "In der Bibel steht nämlich ein Haufen Kram, der völlig falsch ist." Am Ende wurde dann immer wieder das gleiche Spiel gespielt: Die A-Vertreter verteidigten die Bibel mit Händen, Füßen und allen Kräften - und die B-Vertreter rannten mit Händen, Füßen und allen Kräften GEGEN sie an. (Allerdings, selbst da zeigt sich bei B eine alles andere als berauschende Bibelkenntnis. Jeder A-Christ, der seine Bibel liest, kennt wesentlich mehr solch schwer verdaulicher Stellen.)
Obendrein weiß B ganz genau, was in den letzten 2000 Jahren unter Berufung auf die Bibel alles schief gelaufen ist. "Das ging und geht durch die Jahrhunderte - welches Verbrechen, das nicht durch die Bibel gerechtfertigt wurde, weil man sie in falscher Weise nutzte. Und allzu viel geschah schon Schlimmes mit dem: Aber es steht geschrieben." Dies alles, der falsche Kram und die Verbrechen, dienen dann als Begründung, warum wir die ganze Bibel nicht beim Wort nehmen können bzw. warum die gesamte Heilige Schrift "interpretiert" werden muss. Sprich: weshalb nicht "Es steht geschrieben" als letzte Autorität über Glauben, Theologie und Kirche stehen darf sondern der historisch-kritische Theologe und mit ihm die freie, bindungslose Beweglichkeit.
Noch ein anderes Beispiel: Johannes der Täufer predigte "Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!" Auch Jesus Wirken beginnt bei Matthäus mit diesen Worten: "Tut Buße ..." In der Geburtsstunde der Kirche hielt Petrus eine große Predigt. Die gipfelte in der Aufforderung: "Tut Buße, und ein jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesus Christi zur Vergebung der Sünden." Paulus fragt: "Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet?" Luthers Thesen, die Geburtsurkunde unserer evangelischen Kirche!, beginnen: "Da unser Herr und Meister spricht: ′Tut Buße′, hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sei ..."
Buße rechnet mit einer Realität, die wir nicht manipulieren können. Deshalb müssen WIR ihr gerecht werden und nicht umgekehrt. WIR müssen umdenken, umkehren, unsere ganzes Leben auf diese Realität hin ausrichten. Wenn wir das tun, wird diese Realität uns Hilfe und Gewinn sein; wenn wir das nicht tun, werden wir Schaden nehmen. Diese Lebens-Ausrichtung ist der Glaube. Allein durch den Glauben, "sola fide", werden wir der Realität Gottes gerecht; d. h. wir werden "Gottes Kinder", bekommen Anteil am Reich Gottes, ewiges Leben, Gottes Schutz, seine Hilfe, seinen Segen ... "Wer aber dem Sohn nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihn" (Joh 3,36).
Insofern ist diese Realität Gottes eine knallharte - in der Kirchensprache eine heilige - Sache. Und Buße bzw. Glaube sind todernste Angelegenheiten, um die man sich nicht herumdrücken kann. Hier können wir nur akzeptieren oder scheitern; sprich: von ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit allen unseren Kräften zustimmen und gehorchen – oder eben "verloren werden" (Joh 3,16). Damit aber hört jede Beweglichkeit auf. Der Mensch kann sich drehen und wenden, wie er will - er kommt an dieser Tatsache nicht vorbei.
Das aber stellt alles in Frage, wofür B steht. Deswegen rennt man dort mit allen Kräften auch GEGEN diese Autorität an (bzw. gegen den Glauben an eine solche). Und selbstverständlich hat man auch hier Wege gefunden, dieser Autorität theologisch aus dem Weg zu gehen und die bindungslose Beweglichkeit wieder herzustellen. Sprich: man hat sich flugs eine neue, gänzlich andere Rechtfertigungslehre ausgedacht.
Die beruht auf einem einfachen Trick: B hat unsere Rechtfertigung kurzerhand in die Vergangenheit um- bzw. ausgelagert. Alles, was dafür nötig ist, sei bereits vollständig getan und ein für allemal erledigt. Folglich, meint B, brauche heute für unsere Rechtfertigung nichts mehr geschehen. Denn die habe jeder Mensch bereits sicher. Sie wurde uns gewissermaßen in die Wiege gelegt. So schreibt z. B. Prof. E. Jüngel, dass jeder Mensch die "unzerstörbare Würde einer von Gott gerechtfertigten menschlichen Person" besitze. Und vor der EKD-Missionssynode 1999 betonte er, Rechtfertigung sei "der souveräne Indikativ des Evangeliums". (Meines Wissens fand sich in der großen, weiten EKD kein Theologe, der ihm ernsthaft widersprochen hat!)
Auf deutsch: Für A ist Rechtfertigung "Konjunktiv" - eine Möglichkeit, die jedem angeboten ist, aber allein durch den Glauben, sola fide, wirksam wird. Für B dagegen ist sie "Indikativ", eine unzerstörbare Wirklichkeit für jeden Menschen. In der Folge hat die Realität Gottes (falls die überhaupt existiert?) für B ausschließlich positive Wirkungen. Gericht, Strafe, Fluch, ewige Verdammnis ... all das ist ausgeschlossen. Denn Gottes Gnade sei an keinerlei Bedingung gebunden. Buße, Glauben, "Heiligung" ... ist alles nicht nötig. Schließlich haben wir die Rechtfertigung als unverlierbaren Besitz in der Tasche!
So kann der B-Christ frei und unbeschwert in die Welt hinein springen. Er kann glauben, denken, reden, tun und lassen, was er will. Seine Beweglichkeit wird durch nichts und niemanden behindert. Denn die Realität Gottes springt voll der Gnaden immer mit ihm. Sie wird seine bindungslose Beweglichkeit niemals einschränken.
VI. Langer Rede kurzer Sinn oder meine sehr persönliche Bilanz zum ca. zweijährigen Gesprächsprozess auf den Internet-Leserbriefseiten von "DER SONNTAG - Wochenzeitung für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens".
Das Kreuz, an dem Jesus Christus gestorben ist, bestand vermutlich aus zwei Balken: einem senkrechten und einem waagerechten. Den senkrechten kann man deuten als die Beziehung des Menschen zu Gott und der waagerechte steht für unsere Verhalten gegenüber der Welt und unseren Mitmenschen. "Du sollst Gott lieben von ganzen Herzen ... und deinen Nächsten wie dich selbst."
Wir von A betonen die Senkrechte. Wir glauben gewissermaßen "nach oben". Wir sind überzeugt, dass "da oben im Himmel" etwas ist: ein lebendiger Gott; eine uns "objektiv gegebene" Wahrheit; eine göttliche Realität, der wir allein durch den Glauben gerecht werden können. Deshalb glauben wir AN dieses göttliche "Etwas". Wir hängen unser Herz AN dieses "Objekt". Wir klammern wir uns AN diesen "Gegenstand" unseres Glaubens - im Leben und im Sterben. Und wir glauben, dass dieser lebendige Gott "von oben herab" zu uns redet - und zwar in erster Linie durch die Heilige Schrift. Deshalb kann allein dieses sein Wort, "sola scriptura", Fundament und Autorität sein für unseren Glauben, unsere Theologie und unsere Kirche.
Und wir sind überzeugt: Wenn unsere Beziehung zu Gott in Ordnung kommt, dann ordnet sich auch die Beziehung zu unseren Nächsten. Wenn die Senkrechte heil wird, heilt auch die Waagerechte - allerdings nicht durch Appelle oder wie auch immer geartete Belehrungen sondern durch die Veränderung unseres "Herzens". Luther meint dazu (sinngemäß): "Denn wir werden nicht dadurch gerecht, das wir das Rechte tun, es sei denn auf heuchlerische Weise, sondern dadurch, das wir Gerechte werden und sind, tun wir das Rechte. Zuerst ist es notwendig, dass die Person geändert wird, dann folgen die Werke." Echte Nächstenliebe ist eine FRUCHT des Geistes, die aus einer lebendigen Gottesbeziehung erwächst. (Wenn also mit unserer Liebe zum Nächsten etwas nicht stimmt, dann ist das eine Anfrage an unsere Gottesbeziehung.)
B dagegen betont die Waagerechte. Dort ist der Glaube gewissermaßen zur Seite abgebogen – früher nach rechts, heute nach links. Er sucht Gott nicht im Himmel sondern nebenan in der Welt beim Mitmenschen. Folglich ist der B-Glaube erfüllt von Moral und Ethik. Er fließt über von Frieden, Gerechtigkeit, Umweltschutz und Einsatz für Homosexuelle, Flüchtlinge usw. Wenn B-Christen GLAUBEN, dann ist das BEWEGUNG, Tun, Aktivität, Engagement. Folglich predigen sie flammende Aufrufe, Appelle, Belehrungen ... und erwarten, dass dadurch die Menschen und die Welt besser werden.
Aber die Senkrechte habe ich dort nicht gefunden; zumindest nicht die Beziehung zu einem Gott, der diesen Namen verdient. Wohlgemerkt: Auch bei B trifft man tief religiöse Menschen, die von ganzem Herzen Gott glauben und auf ihre "Erfahrungen" verweisen. Aber dieser Gott hat nichts Festes, nichts Greifbares. Ich finde bei ihm nichts Belastbares, an das ich mich klammern bzw. mein Herz hängen könnte. Auf mich wirkt er eher wie ein potemkinscher Dorfgott. Ihn und das allgegenwärtige "Wir auch!" erlebe ich vor allem als Verkleidung um fließende, sich ständig ändernde, frei bewegliche Meinungen.
Aber: diese Meinungen wenden sich GEGEN alles, was ihre Beweglichkeit einschränken könnte - und damit GEGEN all das, was dem A-Glauben heilig ist. Denn der B-Glaube akzeptiert keine Wahrheit, die seinem Zugriff entzogen ist. Er duldet keinen Glaubens-Gegenstand, der seiner Beweglichkeit im Wege steht. Erst recht bestreitet er, dass uns Worte bzw. ein Buch gegeben sind, die für uns verbindliche Autorität sein wollen. B-Christen akzeptieren kein "Es steht geschrieben", dem sie sich unterordnen müssten.
So bleibt am Ende: A steht FÜR dieses "Objekt", an das wir glauben. Der B-Glaube wie-derum richtet sich GEGEN genau dieses "Objekt". Deshalb steht über unserer Kirche in Flammenschrift geschrieben: "Das GEGEN streitet wider das FÜR und das FÜR streitet wider das GEGEN". Und ich sehe nichts - weder im SONNTAG-Forum, noch im Gesprächs-prozess der sächsischen Landeskirche, noch in der großen EKD - das diesen Streit beenden könnte, absolut nichts (ausgenommen vielleicht die theologische Auszehrung des A-Lagers).
Wohlgemerkt: Dies gilt nur für die Sachebene. Auf der menschlichen Ebene müssen und können wir miteinander auskommen. Selbstverständlich müssen wir irgendwie gemeinsam Kirche machen bzw. zumindest so tun. Noch selbstverständlicher kann ich mich auch mit einem B-Christen gut verstehen und befreundet sein - so wie ich das mit einem Atheisten oder einem Muslim auch kann. Und dennoch, der A-Glaube und der B-Glaube verhalten sich zueinander wie Feuer und Wasser. Das Theater um Pfarrer Latzel in Bremen ist nur die winzige Spitze eines gewaltigen Eisberges …
Andreas Rau
rau@DerLaie.com
www.DerLaie.com
VII. Zugabe
Hier noch ein Nachschlag zu III. und IV., zu den frommen Worten aus dem B-Lager. Erwächst das "Wir auch!" aus einer theologisch fundierten Überzeugung oder ist es Ausdruck von taktischer Beweglichkeit? Ist es Bekenntnis oder Passwort? Um das herauszufinden kenne ich nur einen Weg: Nachfragen; wieder und wieder nachhaken; so tief wie möglich bohren ...
Das scheint in unserer Kirche nicht üblich zu sein. Da leben die unterschiedlichen Positionen - mehr oder weniger friedlich - nebeneinander her bzw. aneinander vorbei. Das Ganze erinnert an Jes 53,6: "Wir alle irren umher wie Schafe. Ein jeder sieht auf seinen Weg ..." Ein Bemühen um theologische Klarheit kann ich nicht erkennen. Der Gesprächsprozess in Sachsen ist meines Wissens eine einzigartige Ausnahme. Zumindest hätte er das sein können. Immerhin, im SONNTAG-Forum kam es zu einem echten Gespräch. Dort fand sich tatsächlich ehrliches Bemühen um Klärung, um gegenseitiges Verstehen, um Annäherung. Mehr als zwei Jahre lang haben sich die Kontrahenten beharkt, aber auch intensiv miteinander gesprochen. Und von beiden Seiten wurde gebohrt ...
Das Ergebnis aus der A-Perspektive: Der theologische Untergrund unter dem B-Glauben besteht aus unterschiedlichen Schichten. Die 1. Schicht ist Überraschung, ist Zurückhaltung, ist Zögern. Für B-Theologen bzw. B-Gläubige ist es selbstverständlich, die Bibel und den daraus erwachsenen Glauben bei anderen (historisch-kritisch) zu hinterfragen. Darin sind sie richtig gut. Wenn es aber darum geht, die eigenen Überzeugungen offen zu legen und zu begründen, tun sie sich schwer. Das sind sie wohl nicht gewohnt. Deshalb ist es gar nicht so einfach, B-Kämpen dazu zu bewegen, ihre theologischen Karten auf den Tisch zu legen - und sich damit angreifbar zu machen.
Wenn diese 1. Schicht durchbohrt ist, stößt man auf die 2. Schicht: die schönen Worte. Alles klingt wunderbar überzeugend. Man ist ganz gerührt von der hohen Theologie und der tiefen Frömmigkeit, die dort anzutreffen sind. Die meisten A-Christen sind dann beeindruckt oder beschämt - und stellen die Bohrungen ein. Tut man das nicht, folgen als 3. Schicht die "Erfahrungen": "Ich habe es erlebt ... es ist mir widerfahren ... Gott wird mir gegenwärtig ... lebendige Begegnung ..." Bohrt man noch tiefer kommt - nichts mehr. Man kann bohren wie man will, hinter den Erfahrungen ist Schluss. Danach kommt nichts mehr - nur noch eine große Leere. Oder vielleicht richtiger: die vierte und letzte Schicht besteht nur noch aus taktischen Finessen.
Es ist immer wieder beeindruckend, mit welchem Geschick einige B-Kämpen sich um heikle Fragen herumdrücken: Es wird vom Thema abgelenkt, zahllose Gegenfragen gestellt und Sachen erörtert, die mit dieser konkreten Frage nichts zu tun haben. Man kommt vom Hundertsten ins Tausendste und wenn das nicht reicht auch noch ins Millionste. Die A-Positionen werden verdreht und zur Karikatur gemacht. Das "Ihr selber!" prasselt wie Hagelschlag in die Diskussion ... Überhaupt scheinen einige B-Vertreter zu Schopenhauers Musterschülern zu gehören. Zumindest beherrschen sie seine "Eristische Dialektik" perfekt. (Wohlgemerkt: Diesen taktischen Finessen begegnet man überall. Die sind keinesfalls auf B beschränkt. Aber in dieser Schicht unter den B-Erfahrungen findet man sie in extrem hoher Konzentration.)
Dazu ein konkretes Beispiel: die Frage nach Gott. Der 1. Ritter der B-Fraktion verwies regelmäßig auf eine "negative Theologie". Die sei der Überzeugung, der Mensch könne Gott nicht erreichen und folglich auch nichts über ihn wissen und aussagen. A konterte, in der Kirche werde aber von Gott geredet und auch er selbst benutze dieses Wort, deshalb müsse er doch sagen können, was er damit meint! Der 1. Ritter blieb aber dabei, nein das wolle er nicht. Nach weiteren Bohrungen erklärte er wörtlich: "Würde ich Gott definieren, wäre ich ja kein Christ. Was würde Ihnen denn eine Definition Gottes helfen? Oder anders gesagt: Warum erwarten Sie, dass wir etwas tun, was Gott selbst uns verboten hat - dass wir uns ein Bild von ihm machen und ihn damit festlegen?" Als A sich dennoch nicht abwimmeln ließ, bewegte er sich dann doch etwas: "Gott ist für mich der Grund allen Seins". Auf die Nachfrage, was denn mit Grund gemeint sei, legte er nach: "Ich meine es im Sinne von Ursache. Weil Gott es wollte, gibt es die Welt … Gott – so meine ich es – ruft sich das Sein gegenüber – und nur deshalb ist es."
(In Klammer. In einem anderen Zusammenhang schrieb dieser 1. Ritter später: "Wenn ich von Gott rede, meine ich kein Wesen. Da kann ich auf nichts zeigen." Kein Wesen? Nun wird "Gott" aber im Allgemeinen als "höheres Wesen" verstanden – und zwar eines mit Herz und Verstand, das fühlen, wollen, denken und vor allem lieben kann. Müssen wir neuerdings bekennen "Ich glaube an die Ursache die Mutter, die allmächtige ..."? Oder sollen wir beten: "Ursache unser im Himmel, geheiligt werde dein Name …? Oder: Wir glauben an einen dreieinigen Gott. Jesus Christus ist wahrer Gott und wahrer Mensch. Ist er kein Wesen? Kann man auf ihn nicht zeigen? Oder: wie kann eine wesenlose Ursache Liebe sein? Dieses Gottesbild wirft unzählige Fragen auf. Insbesondere steht es im Widerspruch zu den Vorstellungen, die viele schlichte Christen in den Gemeinden haben. Ihnen müsste einiges erklärt werden. Nur leider, an diesem Punkt endeten die A-Bohrungen und so wurden diese Fragen nicht beantwortet. Klammer zu.)
Parallel dazu betonte der 1. Ritter aber immer wieder: "In Christus begegnet mir Gott!" oder "In Christus ist Gott gegenwärtig". Das war der Dreh- und Angelpunkt all seiner Theologie. Nun sind das Formulierungen, gegen die kein Christ etwas sagen kann und will. Denn das ist das Herz des christlichen Glaubens. Allerdings stellt sich die Frage: Wie passt das zusammen? Ein Gott, über den man nichts wissen kann, und die Behauptung "in Christus begegnet mir (dieser) Gott"? Steht dahinter ein gefüllter, d. h. theologisch begründeter, Glaube oder ist das nur eine taktische Formel aus der Trickkiste "Wir auch!"? Ist "in Christus begegnet mir Gott" Bekenntnis oder Passwort?
Also wurden ihm u. a. zwei Gretchenfragen gestellt: "a) Wir kann Gott in einem MENSCHEN gegenwärtig sein? Und b) wie kann Gott GEGENWÄRTIG sein in einem Menschen, der selbst nicht gegenwärtig ist? Wie wird das bei B bzw. von ihnen theologisch untermauert und begründet?" Seine Antwort: "Frage a): Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Ich kann nur sagen: Es ist mir widerfahren. Frage b): Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Ich kann sagen: Je und je passiert es im Nu der Begegnung. Ich bete - und Gott wird mir gegenwärtig. Ich halte mich hin - und Gott ist da ..." Mehr kam nicht. Alle weiteren Bohrversuche endeten an diesem Punkt. Dieses "Das kann ich ihnen nicht sagen" wurde später selbstverständlich wortreich vernebelt. Dennoch, der 1. Ritter hat keinerlei theologische Begründung geliefert.
Es tut mir leid, aber diese Reaktion erinnert mich an Mt 21,25ff. "Die Hohenpriester und die Ältesten des Volkes" saßen in der Klemme. Ihnen war klar, ganz egal welche Antwort wir geben, sie wird uns in Schwierigkeiten bringen. Deshalb stellten sie sich dumm: "Wir wissen′s nicht." Auch der 1. Ritter scheint keine überzeugende Antwort geben zu können. Also kneift er: "Das kann ich ihnen nicht sagen". Damit das Kneifen nicht allzu offensichtlich ist, versteckt er sich hinter seinen "Erfahrungen".
Genau das tut auch der Rat der EKD (s. S. 3): "Die biblischen Texte sind nicht ′Gottes Wort′, aber weil wir Erfahrungen damit machen, dürfen sie als ′Wort Gottes′ angesehen werden." Stellt sich die Frage: Manche Menschen machen "Erfahrungen" mit Goethes Faust oder Romanen von Rosamunde Pilcher oder Opern von Wagner oder in der Natur ... Sie finden dort Anregungen, Hoffnung, Entspannung und seufzen begeistert: "Aahhh, ooohh". Oder wenn ein Jüngling seine Angebetet von ferne anhimmelt, stöhnt er zutiefst bewegt: "Aahhh, ooohh". Wenn ein B-Christ im Gottesdienst oder in einem stillen Moment zur Ruhe kommt, denkt er ergriffen: "Aahhh, ooohh". Und wenn jemand vom Rat der der EKD einen schönen, bewegenden Satz aus der Bibel hört, regt sich in ihm oder ihr: "Aahhh, ooohh".
Was also unterscheidet diese viel zitierten "Erfahrungen" der B-Christen von dem Angesprochen- oder Berührtsein, das sensible Menschen bei den unterschiedlichsten Anlässen empfinden? Was unterscheidet sie von einem ganz normalen seelischen Bewegtsein? Wird hier nichts weiter getan, als Regungen der menschliche Seele "Gott" zu nennen? Oder zumindest deren menschliche und allzumenschliche "Aahhhs und Ooohhs" religiös zu deuten bzw. zu verklären - und so zur Grundlage von Glauben, Theologie und Kirche zu machen. Wen wundert’s, wenn solch ein "Gott" dann immer mit der Mode geht und jeden Wunsch des Zeitgeistes erfüllt?
Nochmals in Kurzfassung: Schicht 1 ist mauern: "Würde ich Gott definieren, wäre ich kein Christ." Schicht 2 ist die der frommen Zaubersprüche: "In Christus begegnet mir Gott". Schicht 3 sind die "Erfahrungen": "Es ist mir widerfahren". Schicht 4 ist die der taktischen Finessen: "Wir wissen es nicht" bzw. "Das kann ich ihnen nicht sagen".
H. Zahrnt nennt Theologen Karl Barth, Rudolph Bultmann und Paul Tillich die "drei Großen des 20. Jahrhunderts". Über letzteren schreibt er ("Die Sache mit Gott"; dtv 1982, Seite 382): "Den Glauben, der ohne Berufung auf eine besondere göttliche Offenbarung den Zweifel und die Sinnlosigkeit in sich hineinnimmt, bezeichnet Tillich als ′absoluten Glauben′. Der Ausdruck soll besagen, daß dieser Glaube keinen konkreten Inhalt mehr hat: ′Er ist einfach Glaube - ungerichtet, absolut.′ Er ist die bloße Erfahrung des Bejahtseins: Wer oder was bejaht, läßt sich nicht definieren, weil alle Definitionen durch den Zweifel und die Sinnlosigkeit aufgelöst sind."
"Glaube ist die bloße Erfahrung des Bejahtseins". Im SONNTAG-Forum reagierte ein anderer B-Kämpe auf dieses Zitat. Er schrieb in Anlehnung an "den sinkenden Petrus" (Mt 14,22ff): "Glaube beginnt dort, wo ich mein in Seenot geratenes Kähnlein verlasse und - gänzlich ohne Absicherung - auf das Wasser trete ... Vielleicht nennt Tillich genau das ′absoluten Glauben′, weil ich eben sogar noch die letzte Hand vom Bootsrand nehmen muß. Ich habe nun nichts mehr in der Hand. Nicht einmal ein Buch!, nur das Wort: ′Steig aus und komm rüber!′ Was dann kommt, ist eben nicht nur ein frommes Gefühl, sondern es ist die Erfahrung des Getragenseins - und die hilft in aller Not!"
"Ich habe nun nichts mehr in der Hand. Nicht einmal ein Buch!, nur das Wort: ′Steig aus ...". Woher dieses Wort kommt; wer oder was es legitimiert; was es von anderen Worten unterschiedet; warum es gerade mir gilt ... - eine nachvollziehbare theologische Begründung wird nicht geliefert. Die Antwort weiß ganz allein der Wind bzw. sie findet sich einzig und allein in den Aahhhs und Ooohhs der Seele des B-Christen.
Luther übersetzt Luk 1,3 mit "den sicheren Grund der Lehre". Paulus spricht in 1Ko 3,11f von einem "Grund, der gelegt ist", auf dem Christen ihr Tun aufbauen. In Eph 2,20 sagt er sinngemäß, die Kirche sei erbaut auf dem "Grund der Apostel und Propheten". An Timotheus schreibt er (2Ti 2,19) von einem "festen Grund Gottes". Im Gesangbuch beginnt Nr. 354 "Ich habe nun den Grund gefunden, der meinen Anker ewig hält." Bei A ist dieser Grund das "Objekt", an das wir unser Herz gehängt haben. Auf dieses Fundament gründet sich ein Glaube, der sich mit einer in 2000 Jahren gewachsenen Theologie bezeugt und verantwortet: "Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen ..."
Der Grund von B ist "(menschliche) Erfahrungen". Die münden in einen Glauben, der sich verkleidet, der sich versteckt hinter einer Theologie, die nicht die seine ist; ein Glaube, der, wenn er sich verantworten soll, nichts anderes vorweisen kann als "es ist mir widerfahren ... die Erfahrung des Getragenseins ... die bloße Erfahrung des Bejahtseins ... die Erfahrung der Gottesbegegnung ... die wirklich tolle und umwälzende Erfahrung - ich bin getragen ... die Erfahrungen mit diesen Texten ..."
Es sind die elementarsten Fragen, die unsere Kirche nicht mehr beantworten kann. Sie liefert Fluten von schönen Worten, aber eine belastbare Theologie hat sie nicht: "Was genau ist gemeint, wenn von ′Gott′ die Rede ist oder vom ′Sohn Gottes′ oder vom ′Geist Gottes′ oder vom ′Wort Gottes′ oder von Schöpfung oder von Vergebung der Sünden oder von Auferstehung der Toten oder vom ewigen Leben …? Wie müssen wir das denken? Wie dürfen wir das verstehen? Aus welchem Grunde können wir das glauben? " All diese Fragen bieten Stoff für einen intensiven, Jahrzehnte währenden Gesprächsprozess ...
Bleibt als Fazit: Die B-Glaubenswelt ist mir fremd. Ich verstehe sie nicht; auch nicht nach einem mehr als zweijährigen intensiven Gesprächsprozess. Aber ich erlebe sie als Gefahr, als Bedrohung. Sie erinnert mich an "Die unendliche Geschichte" von. M. Ende: Das Nichts droht alles zu verschlingen, das mir wichtig und heilig ist. Aber, Gott sei Dank, "der feste Grund Gottes besteht und hat dieses Siegel: Der Herr kennt die Seinen"! Amen.
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