I. Allgemeine Eindrücke
I. 1. Kleinigkeiten am Rande
I. 2. Museumsstück
I. 3. Sumpf
I. 4. Seifenblasen
I. 5. Der feine Unterschied
I. 6. Leergut
II. Konkrete Fragen
II. 1. Mythos
II. 2. Rechenkunst
II. 3. Konsequente Inkonsequenz I
II. 4. Das 'Urwort des Seins'
II. 5. Konsequente Inkonsequenz II
II. 6. Heiligung
II. 7. Wahrheit
Nachwort
Zusammenstellung der Fragen
Literaturverzeichnis
Rechtfertigung |
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I. Allgemeine Eindrücke
I. 1. Kleinigkeiten am Rande
Zunächst, zur Erwärmung, ein wenig Polemik. Die ist nicht so richtig ernst gemeint. Aber so richtig unernst wiederum auch nicht . . .
Im Anfang war das Vorwort. Auch in Jüngels Buch; S. XIII: "Das Buch ist keineswegs nur für sogenannte Fachtheologen geschrieben, für sie am allerwenigsten . . . vor allem an die vielen Pfarrer und Religionslehrer gedacht . . . Ich habe aber auch an all jene Christenmenschen gedacht, die einige intellektuelle Anstrengung nicht scheuen, um sich selber über die Wahrheit des Glaubens Rechenschaft geben zu können."
Nanu? Seinerzeit hieß es noch: "Seit allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert . . . (1Pt 3,15)". Dürfen einfache Christenmenschen heute nur noch vor sich selber Rechenschaft ablegen? Wurde das allgemeine Priestertum aller Gläubigen inzwischen abgeschafft? Oder sind die nach der Lektüre dieses Buches dazu nicht mehr in der Lage? (Am Schluß des Buches wird der Professor wortreich dieses Priestertum aller Gläubigen vertreten. Das ist die Theorie. Der Alltag blinzelt aus dieser kleinen 'Freudschen Fehlleistung'.)
Egal. Genau das sucht Christenmensch L. Ein Buch speziell für ihn geschrieben. Damit er sich Rechenschaft geben kann über die Wahrheiten der Theologenmenschen. Er wird alles tun, um das in ihn gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen. Wird weder Zeit noch Mühe und insbesondere keinerlei intellektuelle Anstrengung scheuen, um dem Pro- fessor in "die Tiefen des Gottesgedankens hinein" (S. 63) zu folgen . . .
L liest . . . und
liest . . . . . und liest . . . . . . . und . . .
. . . . . . .
Die meisten Sätze muß er
zweimal lesen, um sie wenigstens halb zu verstehen. Meist schafft er nur zehn Seiten.
Dann wird der Selbst- erhaltungstrieb übermächtig und schaltet das Gehirn ab.
Mitunter ist es wie trockenes Stroh fressen. L kaut und kaut, aber er kriegt es
nicht runter; es quillt und quillt und wird immer mehr . . .
Einst hieß es: "Es
gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel zu beten, einer ein Pharisäer, der
andere ein Zöllner.
Der Pharisäer stand und betete bei
sich also: Ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber,
Ungerechte, Ehebrecher, oder auch dieser Zöllner . . .
Und der Zöllner stand von
ferne, wollte auch seine Augen nicht aufheben gen Himmel, sondern schlug an
seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!
Ich sage euch, dieser ging
hinab gerechtfertigt in sein Haus, nicht jener. (Lk 18,9ff)"
Heute heißt es; S. 63: "Nunmehr ist klar: Gerechtigkeit Gottes ist als
Genetivus auctoris so zu verstehen, daß der zugleich immer vorausgesetzte
Genetivus subjectivus als Tiefendimension des Genetivus auctoris erhalten
bleibt und neu interpretiert wird. Das evangelische Verständnis der
Gerechtigkeit Gottes im Sinne des Genetivus auctoris gibt dem von Paulus
vorgefundenen und bewußt rezipierten Verständnis der Gerechtigkeit Gottes als
Gerechtsein Gottes (Genetivus subjectivus) eine - dann aber für die theologische
Tiefendimension des Genetivus auctoris selber unverzichtbare - neue Bedeutung:
Gott ist gerecht . . . "
Ist das klar ! ! !
"Ich preise dich, Vater,
Herr des Himmels und der Erde, daß du solches den Weisen und Klugen verborgen
hast und hast es den Unmündigen offenbart." (Mt 11,25)
Tja, die Zeiten haben sich
geändert . . .
Immerhin, Jüngel hat Sinn für
Humor; S. 43: "Wenn mit dieser Lehre die
Kirche wirklich steht und fällt, dann muß diese Lehre elementar verständlich
sein. Die notwendige . . . 'Anstrengung des 'Begriffes'
darf auf keinen Fall
dazu führen, daß man vor lauter Begriffen das Ereignis nicht mehr zu sehen
vermag, um das es geht."
(In Klammer: L empfindet
tiefstes Mitgefühl für Theologie-Studenten. Fünf lange Jahre werden sie mit "Genitivus auctoris" usw. gefüttert.
Kein Wunder, wenn manch einer geistigen Durchfall bekommt.)
Zugegeben, der Professor gibt
sich Mühe! Wenn er in sein geliebtes Latein verfällt, reicht er die Übersetzung
nach. Meistens jedenfalls. Trotzdem fällt es auf. Immer wieder beißt der - vom
strohigen Inhalt schon genug gequälte - Geist auf knochenharte Wortbrocken:
particula veri;
etsi peccatum non daretur; opus proprium;
Kontradiktionsfähigkeit;
quod deus bene vertat; Hypertrophie;
hic Rhodus, hic salta (Gesundheit); circulus vitiosus; obsolet;Konkupiszenz; Theurgie;
Kapporät; semiotische Funktion; Adiaphoron; exemplifiziert; koinzidieren;
ephemere Krisen;
Disparatheit;
regredierende Rückführung; in exelsis; in profundis;
terminus ad quem; actus
contrarius; sit venia verbo, insinuiert; anathemasiert . . .
Am härtesten ist - extrinsezistisch. L weiß zwar nicht, was es
bedeutet, aber es klingt beeindruckend:
E x t r i n s e z i s t
i s c h - ein
Wort wie Musik ! ! !
Die Chefs der Deutschen
Telekom und der DB AG wurden 1998 bzw. 99 mit der Auszeichnung 'Sprachpanscher
des Jahres' geehrt. Weil ihre Firmen zahlreiche englische Ausdrücke verwenden,
die für viele ihrer Kunden unverständlich sind. Theologische Literatur wurde
von den Stiftern des Auszeichnung vermutlich nicht begutachtet. Denn dann
hätten die beiden Herren wohl kaum eine Chance gehabt . . .
Kann ein Christ Rechenschaft
von seinem Glauben ablegen nur mit Latein-, Fremd- und theologischem Wörterbuch
in der Hand? Einst gab es einen sprachgewaltigen Theologen, der wurde
verstanden, weil er 'dem Volk aufs Maul geschaut hat'. Muß das Volk heute
wieder den Professoren aufs (fachtheologische) Maul schauen? Das sei ferne!
L streikt. Hier spielt er
nicht mit. Er besitzt zwar solche Nachschlage- werke, aber er weigert sich, sie
zu benutzen. Was er nicht kapiert, kapiert er eben nicht. Wenn der Professor
für Christenmenschen schreibt, sollte er - bitteschön - auch so reden, daß die
ihn verstehen!
L besteht darauf, daß der
Professor ausruft; S. 86:
"mea
culpa, mea maxima culpa."
Aber bitte auf deutsch!
L liest . . . und
kaut . . . und spuckt . . . Manchmal fühlt er sich wie
auf hoher See; an der Reling, bei Windstärke 12. Er würgt und würgt, aber es
gibt keine Erleichterung.
Doch dann plötzlich -
Windstille, Sonnenschein . . . Klar, deutlich, verständlich. Das pralle
Leben! S. 94f: "Sünde . . . ist . . . in sich unverläßlich
und deshalb substanzlos, wesenlos, haltlos und grundlos . . . Erst das
heraufbeschworene Nichts . . . macht das Schreckliche
des Nichtseins aus. Genau das aber tut die Sünde: sie beschwört das
Nichts."
Das geht runter wie Öl! Woher
bloß kennt der Professor L's Kirche so genau? Der hatte vor einiger Zeit
Episoden aus dem Leben in seiner Kirchgemeinde aufgeschrieben. Diese
Schilderung trägt den Titel "Die Hölle" und endet mit den Worten:
"Für L jedenfalls hat die Hölle einen Namen: Das Pfarrhaus der
Kirchgemeinde Abcdorf .
. . Hier regiert das -
NICHTS."
Das war keine Polemik!
Sondern bitter er- und durchlebte Wirklichkeit. Solange es um Kaffee-Duft und
nettes, unverbindliches Reden geht, existiert Kirchgemeinde. Sobald ein auch
nur halbwegs ernstes Problem ansteht, ist da plötzlich nichts mehr. Kein
Pfarrer, kein Gemeinde- kirchenrat, nichts; einfach - NICHTS. Über viele lange
Jahre hinweg stets dieselbe Grunderfahrung: Kirche ist (hier) in sich
unverläßlich, substanzlos . . . (L ist inzwischen umgezogen. Fluchtartig
hat er diese Kirchgemeinde verlassen. Die neue kennt er noch nicht und kann
deshalb nichts von ihr sagen. Wenn er von 'seiner Kirchgemeinde' spricht, meint
er stets die alte.)
Ähnliches mußte er auch mit
dem (heute nicht mehr existierenden) Kirchenkreis und seiner (bald nicht mehr
existierenden?) Landeskirche erleben. Wenn ein heikles Problem auftaucht, ist
dort, wo eben noch Kirche war, plötzlich - N I C H T S. Bzw. es werden
aus frommen, freundlichen Christen plötzlich ganz gewöhnliche Menschen, die den
Glauben Glauben sein lassen und statt dessen eigene, sehr menschliche, Ziele
verfolgen (zumeist: den eigenen Hintern aus der Gefahrenzone befördern)
Die Erfahrungen mit Kirche
sind sehr unterschiedlich. Entsprechend unterschiedlich sind die Meinungen über
Kirche. Eines dürfte allerdings unumstritten sein: Es gibt oft genug einen
gewaltigen Widerspruch zwischen theologischen Lehren und kirchlichem Leben.
L hat das Glück, einen
Vortrag von Professor Jüngel zu hören. Er nutzt die Gelegenheit, um ihn
genau das zu fragen: "Warum ist in der Theologie - ähnlich wie im
Sozialismus - oftmals die Theorie Marx und die Praxis Murks? Warum funktioniert
die Rechtfertigung des Gottlosen zwar auf dem Papier - aber nicht in den
Gemeinden?"
Die Antwort des Professors
kurz, zu kurz. Mehr ist in diesem Rahmen nicht möglich. L hakt nach, schreibt
einen Brief. Und hat wieder Glück. Der Professor antwortet. Vielen Dank ! ! !
". . . Ihnen noch
einmal klar zu widersprechen. Es ist zu bequem, 'Praxisdefizite' auf die
Theologie (auf welche?) zurückzuschieben."
Das klingt fast wie: 'Uns
Fachtheologen geht das, was in den Ge- meinden geschieht, nichts an. Wir lehnen
jede Verantwortung dafür ab.'
L ist anderer Meinung:
"Kann man denn Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln?
So bringt jeder gute Baum gute Früchte, aber ein fauler Baum bringt schlechte
Früchte . . .
Darum: an ihren Früchten sollt ihr
sie erkennen. (Mt 7,16ff)"
Die Früchte der Theologie
sind nicht das wohlwollende Schulterklopfen von Fachkollegen; auch nicht dicke
Bücher oder gar die intellektuelle Anstrengung, die zu deren Verdauung nötig
ist. Theologie hat der Gemeinde zu dienen ! ! ! Wenn dort am Sonntagmorgen
gähnende Leere herrscht, dann stimmt was nicht. Wenn PfarrerInnen (fast) nur
schwerhörige Omas hinter dem Ofen hervorzulocken vermögen, wurden sie
offensichtlich falsch ausgebildet.
L bleibt dabei: Pfarrer,
Gottesdienste, Gemeinden (und kirchliche Verwaltungen) sind die Früchte, an
denen man sie, die Fachtheologie, erkennen kann. Und diese Früchte lassen nur
einen Schluß zu: Es ist was faul am Baum der Theologie. Und zwar oberfaul!
Es ist zu bequem, wenn
Theologen sich so einfach aus der Verantwortung schleichen wollen . . .
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