Der evangelische Horizont
Die EKD feiert Reformationsjubiläum. In Vorbereitung darauf hat sie ein Themenheft zum Reformationstag 2011 herausgegeben: "Raus mit der Sprache!" Verantwortlich für den Inhalt sind das Kirchenamt der EKD in Hannover und das Zentrum für Evangelische Predigtkultur in Wittenberg.
Also denn, raus mit der Sprache! Auf den Seiten 28/29, fast genau in der Mitte des Heftes, finden sich "10 Thesen zur öffentlichen Theologie" von Heinrich Bedford-Strohm, dem künftigen Bischof der bayrischen Landeskirche. Die 10. These lautet: "Das öffentliche Reden der Kirche geschieht immer im Horizont der einen Welt."
Einst lebte unsere Kirche vor dem Horizont der Ewigkeit. Sie wußte von einer anderen, einer höheren Welt, von Transzendenz, vom Jenseits, von Himmel und Hölle ... Sie predigte eine Hoffnung, die über unsere normale Alltagswirklichkeit hinausreicht. Sie glaubte einem Gott, der sich in der Geschichte offenbart; der auch in unsere ganz persönliche Geschichte eingreift; der helfen, der Wunder tun, der vom Tode erretten kann. Doch diesen im eigentlichen Sinne religiösen Horizont hat heutige Theologie offenbar aufgegeben. Dies führt zu
These 6: "Das Reden der Kirche in der Öffentlichkeit muss zweisprachig sein - es muß die Sprache der säkularen Vernunft genauso beherrschen wie die Sprache biblischer und theologischer Begründungen." Diese Zweisprachigkeit wird in der Tat auf hohem Niveau praktiziert. Doch das ist nicht Ausdruck von geistiger Weite sondern von Doppelzüngigkeit. Die säkulare Vernunft sagt: "Eine Jungfrauengeburt hat es nie gegeben"; in theologischer Sprache heißt es: "Ich glaube ... geboren von der Jungfrau Maria". Die säkulare Vernunft hält Evolution für der Weisheit letzten Schluß; theologisch bekennt man "den Schöpfer des Himmels und der Erde". Man ist überzeugt, Jesus sei im Grab verfault, wie jeder andere Mensch auch, dennoch wird gepredigt: "am dritten Tage auferstanden von den Toten". Man redet theologisch vom "ewigen Leben" und meint säkular ein rein diesseitiges Geschehen. Kurz: kirchliches Reden erschöpft sich weithin in dem Versuch, den "Horizont der einen Welt" mit der Sprache einer anderen Welt zu beschreiben.
These 1: "Nicht nur aus theologischen, sondern auch aus gesellschaftstheoretischen Gründen braucht die Zivilgesellschaft öffentliche Theologie." Davon mögen Theologen überzeugt sein. Die Zivilgesellschaft sieht das zunehmend anders. Denn wozu braucht sie eine Theologie, die zwar viel und großartig redet, aber letztlich nichts Eigenes zu sagen hat? Wozu braucht es eine Kirche, die zwar eine religiöse Sprache spricht, in der Sache aber nur das wiederholt, was andere in der ihnen eigenen Sprache auch sagen bzw. schon oft genug gesagt haben?
Um sinngemäß mit Tucholsky(?) zu sprechen: Man kann einen Hintern schminken, wie man will, es wird trotzdem kein Gesicht daraus. Man kann Allerweltsweisheiten in eine noch so religiöse Sprache und Predigkultur wickeln, es wird dennoch kein Evangelium daraus: eine gute Nachricht, die dem heutigen Menschen in dessen Alltagsleben Hilfe, Halt und Hoffnung bietet. Anders ausgedrückt: Das Problem liegt nicht in der Form sondern im Inhalt; nicht in der Predigt sondern in der Theologie. Oder genauer: die Schwachpunkte der evangelischen Kirche sind nicht die Rituale sondern die Personen; nicht die Predigkultur sondern die Prediger selbst. Denn wie können die überzeugend auftreten, wenn sie selber nichts haben, das sie glauben und hoffen können; wenn sie den Gott, an den sie ihr Herz hängen könnten, nur "im Horizont der einen Welt" suchen müssen.
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