FEEDBACK III
zum GESPRÄCHSPROZESS
Wie ein Laie ev.-kirchliche Theologie erlebt
Die folgenden Bemerkungen wurden von einem Laien geschrieben. Folglich erheben sie nicht den Anspruch auf theologische Vollkommenheit. Es sind vielmehr sehr subjektive Eindrücke aus "der Kerngemeinde". Aber sie sollen eine Rückmeldung sein an "die Theologen": So nehmen schlichte Christen wahr, was Ihr in Euren wissenschaftlichen Gelehrtenstübchen treibt. Ob diese Wahrnehmungen zutreffen, ist eine andere Frage. Aber diese Eindrücke hinterlässt heutige evangelische Theologie in der Gemeinde".
Macht
In Kirche und Theologie geht es häufig - wie anderen Ortes auch - um eine einfache Frage: Wer hat die Macht? Wer ist die Autorität, die entscheidet, was richtig und was falsch ist, was geglaubt, gesagt oder getan werden soll und was nicht?
Im Mittelalter war klar: Was der Papst und seine Kardinäle entscheiden, das gilt. Das katholische Lehramt war die theologische bzw. geistliche Autorität, der Kirche und Christen zu folgen hatten. Dagegen ist Luther aufgestanden: "Auch Papst und Konzilien können irren! Deshalb darf allein die Heilige Schrift, ′sola scriptura′, die Autorität sein, an der sich Kirche, Theologie und Glaube orientieren müssen." Damit löste Luther einen gewaltigen geistlichen und geistigen Umbruch aus: die Reformation (kurz "R1"), der unsere evangelische Kirche ihre Entstehung verdankt.
Darauf antwortete die katholische Kirche mit einer Gegenreformation ("R2"), speziell mit dem Konzil von Trient 1545 - 1563. Dort hat sie ihre Reihen neu geordnet und gegen das "sola scriptura" in Stellung gebracht. (Die theologischen Feinheiten sind zu kompliziert, als dass ein ev. Laie sie durchschauen könnte.)
Ca. 200 Jahre später begann eine weitere Gegenreformation ("R3"), ein zweiter Großangriff auf das reformatorische Schriftprinzip - jetzt aber in der protestantischen Theologie. Nun griffen evangelische Theologen nach der Macht. Sie erhoben sich über die Heilige Schrift und ernannten sich selbst zur Autorität. An die Stelle von "sola scriptura" trat "solus theologus": allein der Theologe entscheidet, was richtig und was falsch ist, was in unserer Kirche gilt und was nicht, was wir glauben können und was nicht.
Allerdings, in einem unterscheidet sich diese evangelische Gegenreformation ("R3") grundsätzlich von ihren Vorgängerinnen. Luthers Reformation ("R1") und die katholische Gegenreformation ("R2") kämpften mit offenem Visier. Da wurde vor jedermann offen gelegt, welche Positionen man vertrat und welche der Gegenseite man folglich ablehnte. Die Protestanten legten ihre Haltung bei verschiedenen Anlässen schriftlich fest. Eine Sammlung davon, die Bekenntnis-Schriften, gilt bis heute als eine Art Grundgesetz unserer Kirche. Z. B. werden in der Confessio Augustana Artikel 21 - 28 die Unterschiede zwischen protestantischen und katholischen Überzeugungen beschrieben zur Heiligen-Verehrung, Abendmahl, Priester-Ehe, Gottesdienst, Beichte usw.
Auf dem Konzil zu Trient distanzierten sich wiederum die Katholiken von den Positionen der Protestanten und begründeten ihre eigenen. Sie verfassten zahlreiche amtliche "Dekrete" zu Schrift und Überlieferung, Rechtfertigung, Abendmahl, Meßopfer, Ehe, Ablaß, Fegefeuer usw.
R3" dagegen, die evangelische Gegenreformation, tut das nicht. Sie legt ihre Positionen nicht vor jedermann offen, zumindest nicht eindeutig und verständlich. Es gibt zwar einzelne Bücher usw., die größere Bedeutung erlangten, aber eine offizielle, verbindliche Darstellung ihrer Dogmen oder gar ein theologisches Bekenntnis dieser Bewegung existieren nicht. Sie wirkt eher wie ein Virus, der Menschen oder Computer oder Kirchen angreift und "krank macht", während die Betroffenen das (zunächst) gar nicht bemerken.
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Paulus beschreibt in 2Ko 4,7 den Glauben: "Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen." Dieses Bild läßt sich auch auf andere Sachverhalte anwenden: ein an sich wertloser Tonkrug voller Goldmünzen; eine unbedeutende, wenig ansehnliche Form mit einem wertvollen Inhalt.
Das Problem bei dieser Art der Schatz-Aufbewahrung ist: die Goldmünzen können z. B. durch Steine ersetzt werden und niemand würde das so schnell bemerken. Denn das Gefäß, die äußere Form, ist das gleiche geblieben, nur der verborgene Inhalt wurde ausgetauscht. Und genau so operiert "R3", die evangelische Gegenreformation: Sie verändert die Formen nicht; im Gegenteil, man behält sie ausdrücklich und offiziell bei. Deren Inhalt aber, die Sache, wird ausgetauscht.
"R1" ist überzeugt, der Schatz in den christlichen Gefäßen ist "Offenbarung", d. h. er kommt von Gott. Er ist uns von Gott gegeben: In Jesus Christus begegnet uns Gott selber in menschlicher Gestalt. Die Sakramente und letztlich sogar die ganze Kirche sind menschliche Werke, durch die Gott sich selbst mitteilt. Folglich gilt auch die Bibel als "Wort Gottes": Worte, die uns von Gott gegeben sind durch Menschen hindurch - in Form ganz normaler menschlicher Worte in einem ganz normalen Buch. Und genau deshalb, weil diese Worte von Gott gegeben sind, ist die Bibel die Herrin, der unsere Kirche zu dienen hat. "Sola scriptura" ist die alleinige Autorität, die entscheiden darf, was in der Theologie und für den Glauben richtig und was falsch ist.
Doch diese Herrin will "R3" nicht akzeptieren. Deren Theologen rennen mit allen Mitteln an gegen die Autorität der Heiligen Schrift. Die zerstörerischste Waffe in diesem Kampf ist die Zersetzung der Worte; genauer: die Veränderung von deren Bedeutung.
Zum Beispiel: Zu den Formen, die Christen in allen Konfessionen zu allen Zeiten benutzen, gehört das apostolische Glaubensbekenntnis. Darin bekennen sie: "Ich glaube ... an Jesus Christus ... geboren von der Jungfrau Maria". In deutschen Wörterbüchern findet man unter dem Stichwort "Jungfrau": "Frau, die noch keinen Geschlechtsverkehr gehabt hat" oder "die geschlechtlich unberührte Frau". Auch für "R1" und "R2" war klar: Diese Formulierung im Bekenntnis bedeutet, dass die Mutter Jesu in diesem Sinne noch Jungfrau war, als sie ihn geboren hat.
"R3" beruft sich auch auf dieses Bekenntnis. Es wird noch immer in nahezu jedem Gottesdienst gesprochen. Hier aber bedeutet Jungfrau nicht mehr Jungfrau, sondern gilt als Umschreibung für eine ganz andere theologische Aussage: Für den einen "R3"-Theologen, Prof. Jüngel, ist "geboren von der Jungfrau Maria" kein "gynäkologischer Protokollsatz", sondern bedeutet "Gott kommt den Menschen näher, als dieser sich selbst nahe zu sein vermag". Der nächste, Kirchenpräsident Steinacker, betont, er glaube an die Jungfrauengeburt. Dennoch ist er überzeugt, damit sei kein "biologischer Vorgang" gemeint, sondern "dass man in Jesus Gott begegnet". Der dritte, Prof. Lindemann, ist sich sicher, dass es keine Jungfrauengeburt gegeben hat. Dennoch bekennt er "geboren von der Jungfrau Maria". Für ihn heißt das, "dass Jesus in noch ganz anderer Weise als vor ihm Johannes der Täufer mit dem Heiligen Geist und mit Gott verbunden ist." Der vierte ...
Die "Jungfrau" im Glaubensbekenntnis ist wie ein Gefäß. Einst war dieses Wort gefüllt mit einem von Gott gegebenen Schatz: eine Frau, "die von keinem Manne weiß". Heute steckt darin ein fließendes, nebulöses Etwas, das jeder "R3"-Theologe nach einem eigenen Rezept zu brauen scheint. Offenbar kann jeder Theologe selber entscheiden, was er meint, wenn er mit starker Stimme bekennt: "Ich glaube ... geboren von der Jungfrau Maria".
Auf diese Weise ist die evangelische Gegenreformation mit allen Worten des christlichen Glaubens umgesprungen: Die ursprünglichen Inhalte wurde verworfen und durch fließende, nebulöse Deutungen ersetzt. Im Ergebnis kann heute niemand mehr sicher sein, was gemeint ist, wenn diese Worte benutzt werden. Z. B. verstehen die Wörterbücher der deutschen Sprache unter Gott eine "transzendente Person, höchstes Wesen, übernatürliches Wesen ..." Auch "R1" und "R2" glauben an einen Gott in diesem Sinne: an unseren Vater im Himmel, an eine Person mit Geist bzw. Verstand, Wollen und Fühlen. Bei "R3" dagegen, besteht zumindest die Tendenz, "Gott" als ein unpersönliches, seelenloses Etwas zu denken, wie z. B. eine spezielle Form zwischenmenschlicher Beziehungen, d. h. eine Art religiös motiviertes Sozialverhalten oder "die Menschheitsgeschichte" oder "die Alles bestimmende Wirklichkeit" oder "der Grund der Möglichkeit von überhaupt allem" oder, wie eine negative Theologie überzeugt ist, ein "Es", von dem wir letztlich gar nichts wissen können, oder …
So geht es dann immer weiter. Man kann nie wirklich sicher wissen, was genau gesagt wird: Bezeichnet "Jesus Christus" eine reale, historische Person oder eine kerygmatische Gestalt, d. h. ein letztlich nur gepredigtes, ausgedachtes, letztlich frei erfundenes Wesen? Oder verbirgt sich hinter diesem Namen eine Mischung aus beiden, ein Gemenge aus historischer Person und theologischer Ausschmückung, aus Realität und Fiktion, aus Dichtung und Wahrheit?
Offenbart sich durch den "Heiligen Geist" der dreieinige Gott mit einer eigenen Meinung, eigenen Willen, eigenen Werten, die wir zu respektieren haben? Oder steht dieser Begriff für ein "geistiges Klima", für eine theologische Grundstimmung, für das, was gewollt bzw. gewünscht ist (in Gegensatz zu dem, was wir vorfinden)? Oder beschreibt „Heiliger Geist“ eine Art gruppendynamischen Prozess oder …
Meint "Wort Gottes" den Wortlaut der Bibel oder das, was Theologen zwischen den Zeilen lesen. Gilt "es steht geschrieben" oder "wir setzen nicht das Wort Gottes mit den Buchstaben der Bibel in eins"?
Oder was heißt denn, der Herr ist auferstanden? War das Grab am Ostermorgen leer oder war es das nicht? Was meint ewiges Leben: ein "zeitlich unbegrenztes" Sein nach dem Tod oder eine erfüllte, eschatologische Existenz vor dem Tod? Was bedeutet der Allmächtige, der Schöpfer, Vergebung der Sünden, Rechtfertigung ... ?
Kurz: der "R3"-Virus befällt zunächst die Sprache. Er zersetzt die Worte; er höhlt sie aus, nimmt ihnen Sinn und Kraft. Damit aber gewinnt der Theologe Macht über diese kranken Worte. Er kann sie füllen bzw. deuten, wie es ihm gefällt. Und durch seine Macht über die Worte kann er auch herrschen über das Wort Gottes, über die Heilige Schrift. Der Theologe kann sie interpretieren, wie es ihm gefällt. Und dadurch wird er zum Herrscher über die Kirche, über deren Theologie und Glauben und Leben.
Zum Beweis: Die Bibel sagt relativ wenig zum Thema Homosexualität. Aber dort, wo sie das tut, ist sie eindeutig: Homosexualität ist ein Problem. Die heutigen Theologen dagegen urteilen: Homosexualität ist kein Problem. Und prompt folgen ihnen Kirchenleitung und Synode - und damit letztlich die gesamte Kirche.
A. Rau
Januar 2014
rau@DerLaie.com
www.DerLaie.com
Nachtrag 1:
Den Worten des Glaubens werden die verschiedensten Bedeutungen untergeschoben. Folglich müsste in jedem Einzelfall erläutert werden, was genau damit gesagt wird. Nur leider, Viren legen keinen Wert darauf, entdeckt zu werden. Folglich werden die Probleme weithin ignoriert. Man tut so, als sei mit dem Schatz des Evangeliums alles in Ordnung. Stattdessen werden die Gefäße auf Hochglanz poliert, d. h. man kann die Formen gar nicht laut genug rühmen. Die Bibel sei selbstverständlich die Autorität, an der man sich orientiere - man verstehe sie nur anders. Die Kirchenleitung habe den Homo-Beschluss gefasst "im Hören auf die Schrift". Luther wird regelmäßig als Kronzeuge angerufen. Das Reformationsjubiläum soll eine gigantische Supershow werden …
Folglich müsste wenigstens "die Gemeinde" immer wieder nachfragen: Liebe(r) PfarrerIn, liebe(r) TheologIn, liebe(r) Bischo(ö)fIn, was genau meinst Du, wenn Du "Gott" sagst oder "Jesus Christus" oder "Heiliger Geist" oder "Wort Gottes" oder "Auferstehung" oder ...? Da auch das nicht geschieht, bleibt nur eines - genau hinhören: Was wird tatsächlich gesagt? Was steckt tatsächlich drin in den frommen Gefäßen? Was verbirgt sich hinter all den ach so christlich klingenden Worten? Wer das ernsthaft tut, wer ein Gespür entwickelt für die Feinheiten der Kirchensprache, wird allerhand sehr traurige Entdeckungen machen.
Nachtrag 2:
"R3" hat die ev. Kirche praktisch vollständig übernommen. So gut wie alle wichtigen Schlüsselpositionen in der EKD und den Landeskirchen sind von ihren Leuten besetzt. Insbesondere die Pfarrerausbildung an den Universitäten und in den Kirchen ist fest in deren Hand. Das größte Problem ist jedoch noch ein anderes: Es scheint keine "R1"-Theologen mehr zu geben, die mit Vollmacht dem Austausch der Inhalte entgegen treten? Oder wo z. B. sind die Theologen, die die babylonische Sprach-Verwirrung beim Namen nennen?
Dafür finde ich nur eine Erklärung, 1Pt 4,17: Das Gericht am Hause Gottes, sprich: der ev. Kirche, ist im vollen Gange. Gebe Gott, dass sich - wie zur Zeit Elias - wieder Tausende finden, die ihre Knie nicht beugen vor diesen neuen Herren und deren Schätze nicht mit ihrem Mund küssen. (1Kö 19,18)
Nachtrag 3:
Hier in diesem Text wird unterschieden zwischen "R1" und "R3". An anderer Stelle spreche ich von A und B. Doch ganz egal, welche Bezeichnung man wählt - evangelikal und aufgeklärt, fromm und liberal, traditionell und links oder was auch immer - es läuft stets auf eines hinaus: In unserer Kirche begegnen sich zwei theologische Strömungen, die sich zu einander verhalten wie Feuer und Wasser. Diesen Konflikt kann kein Gesprächsprozeß der Welt aus selbiger schaffen.
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