I. Allgemeine Eindrücke
I. 1. Kleinigkeiten am Rande
I. 2. Museumsstück
I. 3. Sumpf
I. 4. Seifenblasen
I. 5. Der feine Unterschied
I. 6. Leergut
II. Konkrete Fragen
II. 1. Mythos
II. 2. Rechenkunst
Laien-Kommentar
Kirchliche Praxis
Vollmacht
II. 3. Konsequente Inkonsequenz I
II. 4. Das 'Urwort des Seins'
II. 5. Konsequente Inkonsequenz II
II. 6. Heiligung
II. 7. Wahrheit
Nachwort
Zusammenstellung der Fragen
Literaturverzeichnis
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II. 2. Rechenkunst
Laien-Kommentar
Der Professor wird nicht müde. Wieder und wieder betont er
S. 57: "Das Evangelium . . . ist das die Wirkung des Todes Jesu Christi austeilende Wort . . . eine von Grund auf erneuernde Kraft."
S. 173: "Das Wort, durch das Gott die Welt erschaffen hat, wird also vom christlichen Glauben in Jesus Christus wiedererkannt - weshalb dann wiederum die von ihm ausgehende Anrede schöpferisch wirkt, lebendigmachend."
S. 193: "Das Wort des Evangeliums ist im Unterschied zu dem des Geset- zes dasjenige Wort, das Wirklichkeit nicht postuliert, sondern setzt,"
Oder (nochmals) die entscheidende Kernaussage; S 180: "Die Zurechnung der fremden Gerechtigkeit (imputatio alinae iustitiae) ist nur dann recht verstanden, wenn sie als solches Zusprechen der Gerechtigkeit Gottes begriffen wird, das das Sein des Menschen effektiv verändert. Ist der Sünder durch Gottes urteilendes, aber in seiner Urteilskraft eminent schöpferisches Wort gerecht gesprochen und also von Gott als Gerechter anerkannt, dann gilt er nicht nur als gerecht, sondern dann ist er auch gerecht."
Das Wort Gottes ist eine schöpferische Kraft, die Wirklichkeit setzt: die den Menschen von Grund auf erneuert; die ihn nicht nur gerecht spricht, sondern ihn gerecht macht; die das Sein des Menschen effektiv verändert . . .
Die Rechtfertigung und damit der gesamte christliche Glaube hängen - laut Jüngel - an der effektiven Kraft bzw. der durchschlagenden Wirkung dieses theologischen Wundermittels. Nur, leider, der Professor sagt halt niemals klar und deutlich, was das denn sei, dieses "Wort Gottes". Aber genau das ist eine der ganz großen Fragen . . .
(Zunächst in Klammer. Die
Überzeugung der Fachtheologie dürfte sinn- gemäß lauten: Gottes Wort ist zwar i
n der Bibel zu finden, dennoch ist beides nicht identisch. Gottes
Wort sei keinesfalls "mit dem menschlichen
Wort der Heiligen Schrift . . . unmittelbar [zu] identifizieren",
meint Jüngel. Deshalb müssen Theologen das Wort Gottes in mühsamer
wissenschaft- licher Kleinarbeit aus der Bibel herausklauben und durch die
Predigt dem 'modernen Menschen' servieren. Folglich sei Gottes Wort weniger in
"scriptura" als vielmehr - und vor allem genauer! - im
"verbo" anzutreffen.)
In und zwischen den großen
Kirchen ist wohl unumstritten: Sakramente sind gültig unabhängig von der Person
des 'Spenders'. Wenn z. B. ein ordinierter Pfarrer ein Kind tauft, dann gilt
(und wirkt!) diese Taufe uneingeschränkt und im vollen Umfang - ganz egal ob
der Pfarrer ein großer Heiliger, ein biederer Beamter oder ein gewissenloser
Lump ist. Dieses Prinzip scheinen Theologen (stillschweigend?) auch auf die
Predigt anzuwenden; S. 198: "So wie ja auch
die Predigt nur dann rechte Verkündigung ist, wenn 'das Evangelium rein
gepredigt' wird."
Die Frage nach der Person des
Predigers wird nicht gestellt; nur die Frage nach der 'Reinheit des
Evangeliums'. Die Predigt kann richtig sein oder falsch; d. h. kirchlich
korrekt oder nicht. Man kann auch unter- scheiden zwischen gut oder schlecht,
interessant oder langweilig; zwischen "existentiell ansprechend" oder
belanglos . . . Daran allein, an der Qualität der
Predigt, entscheidet sich "Gottes
Wort" bzw. dessen Wirkung. Die Qualität der Person spielt keine
Rolle. Die "schöpferische, von Grund auf
erneuernde Kraft" kommt - solo verbo - allein aus den Worten; nicht
aus dem Menschen, der diese Worte spricht. Sinngemäß: wenn ein Pfarrer auf
einer Kanzel eine dogmatisch korrekte Rede hält, dann sei dies "Gottes Wort" - ganz egal ob der
Pfarrer ein großer Heiliger, ein biederer Beamter oder ein gewissenloser Lump
ist.
PfarrerInnen sitzen in
extremer Weise im Glashaus. Wenn einer von ihnen z. B. 'am Sonntag Wasser
predigt und in der Woche Wein säuft', verliert er seine Glaubwürdigkeit. Dann
dürfte sich die "von Grund auf erneuernde Kraft"
seiner Predigten sehr in Grenzen halten . . . Schon allein deshalb dürften
Worte allein nicht genügen. Es braucht auch die Übereinstimmung von Wort und
Tat; Mt 7,16ff: "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man denn
Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln? . . . Ein guter Baum kann nicht schlechte Früchte bringen,
und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen . . . "
Ein "fauler Mensch"
kann sicherlich schöne Reden halten; es ist allerdings fraglich, ob diese Reden
"schöpferische Kraft" haben und
gute Früchte bringen in Form von "effektiv verändertem Sein"?
Auch die Reformatoren betonen
diesen Grundsatz! Jüngel zitiert Luther; S. 209f: "'Der Glaube macht die Person' besagt also, 'daß
die Person von Gott durch den Glauben konstituiert wird' . . . 'Das Werk das ich tue, macht die Person nicht zu der
Person, die ich bin: Opus non facit personam' . . .
'Denn wir werden
nicht . . . dadurch gerecht, das
wir das Rechte tun, es sei denn auf heuchlerische Weise, sondern dadurch, daß
wir . . . Gerechte werden und
sind, tun wir das Rechte. Zuerst ist es notwendig, daß die Person geändert
wird, dann [folgen] die Werke.'"
Dies dürfte sinngemäß
auch für die Predigt gelten: Nicht die Werke (Worte) machen einen Pfarrer zum
Pfarrer und seine Rede zu der Rede, die sie ist! "Opus (verbo) non facit
'Wort Gottes' . . . " Eine Predigt wird nicht
dadurch zu Gottes Wort, daß das Rechte gesagt wird, es sei denn auf
heuchlerische Weise; sondern dadurch, daß wir Gerechte werden und sind,
predigen wir das Rechte. Zuerst ist es notwendig, daß die Person geändert wird,
dann folgen Gottes Worte mit schöpferischer Kraft!
S. 222: ". .
. die
Rechtfertigungslehre . . . macht das Sein des
Menschen nicht von seinem Tun her thematisch, sondern sie macht das Tun das
Menschen von seinem Sein her thematisch."
Folglich, so müßte man
meinen, konzentriert evangelische Theologie all ihre Aufmerksamkeit auf "das Sein" des Theologen; auf die
Person, auf das Herz dessen, der Gottes Wort predigt. Müßte man meinen . . .
Kurz nach der Wende sitzt L
in irgendeinem Zug. Im Abteil vor ihm unterhalten sich lautstark zwei reifere
Damen: "Wollte dein Sohn nicht auch Theologie studieren?" "Ja,
das wollte er. Weil er da gutes Geld verdient und wenig arbeiten muß. Aber er
hat etwas anderes gefunden, wo er auch gut verdient und noch weniger machen muß
. . . "
Der 'Quotient aus Geld durch
Mühe' als Motiv für die Berufswahl! Dieser junge Mann hat nicht Theologie
studiert - aber wenn er es getan hätte, wer oder was würde ihn daran hindern, "Gottes Wort" zu predigen? Wie viele
Pfarrer gibt es, die ihren Beruf aus solchen Motiven heraus gewählt haben? Und
diesen Bequemlichkeits-Quotienten in ihrem Amt nach Kräften ausreizen?
Seinerzeit, in der DDR, bot
Kirche einen gewissen Schutz- oder Freiraum. Manch einer, der sich nicht
anpassen wollte, studierte deshalb Theologie. Nicht weil er ja zu Jesus
Christus sagte, sondern wegen seines "von Herzen kommenden Nein" zum
SED-Staat. (Ganz abgesehen von den Pfarrern mit genau gegenteiligen Motiven:
die offiziell oder inoffiziell diesem SED-Staat und seinem Sicherheitsdienst
von Herzen gedient haben.)
Nach den Studenten-Unruhen
wollten die "Achtundsechziger den Marsch durch die Institutionen"
antreten, um diese zu verändern. Wie viele von ihnen marschieren noch immer
durch die Institution Kirche und praktizieren dort ihr "effektiv verändertes Sein"?
Wohlgemerkt: damit soll nicht
gesagt sein, daß solche Leute zwangsläufig schlechte PfarrerInnen sein müssen!
Aber es soll bezweifelt werden, daß jeder automatisch Gottes Wort
predigt - nur weil er Griechisch studiert hat, ein religiöses Vokabular benutzt
und seine Predigten sich inhaltlich im Rahmen einer gewissen kirchlich-dogma-
tischen Richtigkeit bewegen.
Theologie-Studenten müssen
während ihres Studiums durchaus beachtliche intellektuelle Hürden überspringen.
Aber wenn sie alle Prüfungen bestanden haben, steht ihrem Weg ins Pfarramt
nichts mehr im Wege (abgesehen vom kirchlichen Geldmangel . . . )
Wo, wie und wann fragt Kirche
(oder Theologie) nach der Person der Kandidaten (oder Professoren)? Wer prüft -
ernsthaft! - deren charak- terliche, psychische oder gar 'geistliche' Eignung
für diesen Beruf? Wer sucht zu verstehen, ob "das
Ja zu Jesus Christus" tatsächlich aus dem Herzen kommt und ehrlich
gemeint ist?
Oder - um mit Jüngel zu
sprechen - beim Studium wird mit großem Aufwand "das Tun des Menschen" (bzw. sein
Wissen) gefördert. Dies ist zweifellos gut und unverzichtbar! Wo aber fragt
Kirche nach dem "Sein" ihres Nachwuchses bzw. ihrer Angestellten? Wo
- in Kirche und Theologie - wird tatsächlich nach dem Grundsatz gehandelt; S. 210:
". . . dadurch, daß wir . . . Gerechte werden und sind, tun wir das Rechte. Zuerst ist es notwendig,
daß die Person geändert wird, dann [folgen] die Werke.'"
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