I. Allgemeine Eindrücke
I. 1. Kleinigkeiten am Rande
I. 2. Museumsstück
I. 3. Sumpf
I. 4. Seifenblasen
I. 5. Der feine Unterschied
I. 6. Leergut
II. Konkrete Fragen
II. 1. Mythos
Theologen- Theorie
Kirchliche Praxis
Laien-Kommentar
II. 2. Rechenkunst
II. 3. Konsequente Inkonsequenz I
II. 4. Das 'Urwort des Seins'
II. 5. Konsequente Inkonsequenz II
II. 6. Heiligung
II. 7. Wahrheit
Nachwort
Zusammenstellung der Fragen
Literaturverzeichnis
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II. Konkrete Fragen |
II. 1. Mythos |
Laien-Kommentar |
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Laien-Kommentar
An dieser Stelle kann man lange diskutieren über Zustand und Entwicklung der evangelischen Kirchen. Dennoch, wenn Jüngels Denkansatz den Tatsachen entspräche, müßte eine grundsätzlich positive Entwicklung zu beobachten sein (wie etwa in den ersten drei Jahrhunder- ten n. Chr.)! Sonntag für Sonntag wird heute auf unzähligen Kanzeln "Wort Gottes" gepredigt - da sollte dessen "verändernde Kraft" doch erkennbar positive Ergebnisse bewirken! Und wenigstens da oder dort grünes Unkraut in gelben Weizen verwandeln. L kann eine derartige Grundströmung nirgends entdecken. Er sieht nur die gegenteilige Tendenz: das Unkraut wird immer mehr und der Weizen immer weniger.
Sicher, es gibt viele gute Absichten, viel guten Willen, viel Engagement und Mühe - aber wirkliche Veränderung? Als Petrus zu Pfingsten predigte "wurden hinzugetan an dem Tage bei dreitausend Seelen" (Apg 2,41). Hier in der Kirchenprovinz Sachsen hat L jedoch noch niemals - nicht ein einziges Mal! - beobachtet, daß jemand als Heide in einen Gottesdienst gegangen und als Christ wieder herausgekommen ist. Die von Jüngel behauptete "erneuernde Kraft" zeigt sich hier nicht. "Effektiv verändertes Sein": durch Predigt erneuerte, geheilte, (dauerhaft) gesegnete Menschen - L hat sie noch nicht gesehen. Zumindest nicht in den von der heutigen Fachtheologie geprägten Gottesdiensten.
Er ist nicht der Einzige, dem es so ergeht. Dieter Hildebrandt, der bekannte Kabarettist, bringt es auf den Punkt: "Während des Gottes- dienstes fahre ich zum Tennis. Dabei beobachte ich die Leute genau, die zur Kirche gehen. Wenn sie hineingehen, sehe ich ihre Gesichter, und wenn sie herauskommen, sehe ich sie auch. Es hat sich nichts geändert (Hessen-Nassauische Kirchenzeitung)
Jüngels Lehren bleiben den Beweis ihrer Wahrheit schuldig. Sie funktionieren auf dem Papier; in den Gemeinden tun sie es nicht (zumindest nicht so, wie es die Theorie erwarten ließe). So schlüssig und überzeugend sie konstruiert sind, die Wirklichkeit 'hier unten', im alltäglichen Leben, ist eine andere . . .
Professor Jüngel tut dies ab
als "Praxisdefizite". Was wohl heißen soll: Die akademischen Lehren
liefern guten Samen, der wird nur nicht richtig ausgesät. Pfarrer A stellt sich
ungeschickt an, Pfarrerin B predigt nicht korrekt, Gemeindepädagoge C ist
nachlässig . . . Die Fachtheologie ist topp, nur deren Umsetzung ein Flop. Oder
eben in DDR-Deutsch: die Theorie ist Marx aber die Praxis ist Murks.
Zugegeben, zwischen Jüngels
Fachtheologie und 'Pastoren-Frömmig- keit' bzw. dem Inhalt vieler Predigten
gibt es gewaltige Unterschiede. Das spricht für den Professor! Dennoch, es gibt
viele PfarrerInnen, die gewissenhaft und fachtheologisch 'correct' arbeiten;
doch auch sie erzielen nicht wesentlich bessere Ergebnisse. Wenn "Gottes
Wort" an gewöhnlichen Sonntagen mehr als 95 Prozent der Kirchenmitglieder
nicht hinter den Öfen hervorzulocken vermag, dann kann es mit dessen
verändernder Kraft nicht weit her sein.
Insofern muß akademische
Theologie sich fragen lassen, ob sie ihre Lehren nicht völlig losgelöst von den
Realitäten in den Gemeinden ausbrütet. Ständig werden von den Professoren neue
hochwissen- schaftliche Theorien ausgetüftelt - und dennoch geht es mit Glauben
und Kirche immer schneller bergab. Da läge doch die Vermutung nahe, daß da an
den Universitäten irgend etwas grundsätzlich schief läuft . . .
Vielleicht sollten
Professoren - die Humor haben! - sich den alten DDR-Witz auf den Schreibtisch
stellen: Parteisekretäre sind ehrlich, über- zeugt und intelligent. Allerdings
treten diese Eigenschaften nie gemein- sam auf; eine fehlt immer. Wer ehrlich
und intelligent ist, ist nicht überzeugt. Wer überzeugt und intelligent ist,
ist nicht ehrlich. Und die ehrlich Überzeugten sind nicht intelligent. Ähnlich
scheint es mit Gottes Wort, akademischer Theologie und "effektiv verändertem Sein" zu gehen.
Irgend etwas paßt hier nicht zusammen . . .
Aus Sicht der Gemeinde bieten
sich zwei Erklärungen an:
a) "Gottes Wort"
hat gar keine "schöpferische Kraft"?
All die wunder- baren Eigenschaften, die Jüngel ihm nachsagt, sind Mythos. Wenn
man seine Lehren in diesem Punkt entmythologisiert, fallen sie zusammen wie ein
Kartenhaus?
b) Jüngel treibt Etikettenschwindel?
Was er als "Gottes Wort" ausgibt, ist in Wirklichkeit gar nicht Gottes
sondern Theologen Wort; und steht im Widerspruch zu dem, was Gott
tatsächlich zu sagen hat?
Angesichts der 2000jährigen
Wirkungsgeschichte unseres Glaubens ist Erklärung b) wesentlich
wahrscheinlicher. Sie soll im Folgenden angefragt werden. Zunächst jedoch die
erste Grundfrage aus der Gemeinde an die Fachtheologen:
F R A G E 1:
Wo erweist heutige Theologie
verändernde, erneuernde Kraft?
Was unterscheidet unsere Kirche
grundsätzlich von anderen vergleichbaren Organisationen?
(In Klammer: Um
vorhersehbaren, vorschnellen Antworten vorzubeugen drei kurze Anmerkungen:
1. In Politik, Werbung und
anderswo gibt es Experten, die mit geschickter Rhetorik Menschen zu
beeinflussen wissen. Auch Predigt kann mit psychologischen Tricks 'Erfolge'
erzielen und z. B. Betroffenheit auslösen usw. Ein geschickter Redner kann auf
den Seelen der Hörer 'klimpern' wie auf einer Gitarre! Dies heißt aber noch
lange nicht, daß sich deren Sein dadurch tatsächlich "effektiv
verändert" und ihnen dauerhaft "Heil widerfährt"!
2. Es wächst [mitunter]
Weizen! Es geschieht [gelegentlich] "effektiv verändertes Sein"! Die
Frage ist, wo sind dessen Wurzeln? In der heutigen Theologie oder im "Erbe
der Väter", das noch immer lebendig ist - durch die Bibel in Familien,
Gemeinden oder Gemeindekreisen?
3. Das Bild von Kirche in der
Öffentlichkeit ist zwiespältig. Es gibt Kritik, aber auch erstaunliches
Vertrauen. Kindergärten, Schulen, Krankenhäu- ser usw. haben häufig einen guten
Ruf! Ist dieser gute Ruf Verdienst der Theologie oder der engagierten Arbeit
einzelner Christen? Bzw. Nach- wirkung einstiger 'kirchlicher Substanz', die
bis in unsere Zeit herüberreicht?
Es gibt in diesen Punkten
keine einfachen, schnellen Antworten. Hier soll es deshalb nur um die
Grundtendenz gehen: lebt Kirche heute aus der erneuernden, "effektiv
verändernden" Kraft moderner Theologie? Oder zehrt sie von ihrer Substanz:
der Kraft eines 2000jährigen Glaubens, die in den Gemeinden [noch immer]
spürbar ist - unabhängig von den jeweiligen Moden an den Universitäten? Klammer
zu.)
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