I. Allgemeine Eindrücke
I. 1. Kleinigkeiten am Rande
I. 2. Museumsstück
I. 3. Sumpf
I. 4. Seifenblasen
I. 5. Der feine Unterschied
I. 6. Leergut
II. Konkrete Fragen
II. 1. Mythos
II. 2. Rechenkunst
Laien-Kommentar
Kirchliche Praxis
Vollmacht
II. 3. Konsequente Inkonsequenz I
II. 4. Das 'Urwort des Seins'
II. 5. Konsequente Inkonsequenz II
II. 6. Heiligung
II. 7. Wahrheit
Nachwort
Zusammenstellung der Fragen
Literaturverzeichnis
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Vollmacht
Als die Tochter des Jairus gestorben war (Mk 5,21ff), kam Jesus "in das Haus des Vorstehers, und er sah das Getümmel, und wie sehr sie weinten und heulten . . . Er aber trieb sie alle hinaus und nahm mit sich den Vater des Kindes und die Mutter und die bei ihm waren, und ging hinein, wo das Kind lag und ergriff das Kind bei der Hand und sprach zu ihr: Talitha kumi! das ist verdolmetscht: Mägdlein, ich sage dir, stehe auf! Und alsbald stand das Mädchen auf und ging umher; es war aber zwölf Jahre alt."
Falls Laie L in vergleichbarer Situation ausriefe: "Talitha kumi!", so bestünden gewisse Zweifel am Erfolg des Unternehmens. Also verzichtet er sicherheitshalber auf derartige Experimente . . . In Mt 17,14ff wird solch ein mißglückter Versuch geschildert: Die Jünger versuchen vergeblich, einem "mondsüchtigen Knaben" zu helfen. Nachdem Jesus den bösen Geist ausgetrieben und das Kind geheilt hatte, "traten seine Jünger besonders und sprachen: Warum konnten wir ihn nicht austreiben? Er aber sprach zu ihnen: Um eures Kleinglaubens willen. Denn ich sage euch . . . diese Art fährt nur aus durch Beten und Fasten"
Es gibt zwei Möglichkeiten, solche Texte zu verdauen. Man kann sie 'entmythologisieren' bzw. interpretieren; d. h. man kann sie entschärfen, verniedlichen und den Bedürfnissen der Fachtheologie anpassen. Oder aber man stellt sich dem Problem, daß die "Kraft des Evangeliums" nicht nur eine Frage der Worte ist. Daß es dabei auch um eine Wirklichkeit geht, die in oder hinter der Person verborgen ist, die diese Worte spricht.
Die Bibel (bzw. Luthers Übersetzung) gebraucht in diesem Zusammen- hang den Begriff "Vollmacht". Der beschreibt sinngemäß den Unterschied zwischen Worten mit schöpferischer Kraft und Worten ohne verändernde Wirkung; zwischen einer Predigt, die "effektiv verändertes Sein" zur Folge hat, und der Predigt, die keine "Frucht bringt"; zwischen einem Reden, das von Gottes Geist bestätigt wird, und einem Reden "solo verbo", das allein aus gut gemeinten Worten besteht.
Vollmacht ist der Unterschied zwischen schöpferischer, lebendig- machender Kraft und theologischer Rechenkunst; zwischen "Gottes Wort" und religiösem Wunschdenken.
Am Schluß der Bergpredigt heißt es; Mt 7,28f: "Und es begab sich, als Jesus diese Rede vollendet hatte, daß sich das Volk entsetzte über seine Lehre; denn er lehrte sie mit Vollmacht und nicht wie ihre Schriftgelehrten."
"Ihre Schriftgelehrten" waren ernsthaft Leute! Sie waren intelligent und gebildet. Sie besaßen Gottes Wort (die Schrift) auf dem damals aktuellen Stand und studierten es gewissenhaft und intensiv. Sie mühten sich redlich, Gott mit ganzer Kraft und all ihrem Wissen zu dienen. Aber Vollmacht hatten sie nicht . . .
Und "unsere Schriftgelehrten"? Auch sie sind ernsthafte Leute (wenigstens die meisten). Auch sie sind intelligent und gebildet. Sie besitzen Gottes Wort auf dem allerneuesten Stand und studieren es gewissenhaft und intensiv. Sie mühen sich redlich, Gott nach Kräften mit all ihrem Wissen zu dienen. Aber Vollmacht? Haben unsere Schrift- gelehrten Vollmacht ? ? ?
Matthäus 9,1ff, Markus 2,1ff und Lukas 5,17ff beschreiben nahezu gleichlautend die Heilung des Gichtbrüchigen. Der wurde zu Jesus gebracht, von vieren getragen. Und da sie ihn nicht zu ihm bringen konnten wegen der Menge, deckten sie das Dach auf, wo er war, machten ein Loch und ließen das Bett herunter, auf dem der Gelähmte lag. Als nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.
Und siehe, einige unter den Schriftgelehrten sprachen bei sich selbst: Dieser lästert Gott. Als aber Jesus ihre Gedanken sah, sprach er: Warum denkt ihr so Böses in euren Herzen? Was ist denn leichter, zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf und geh umher?
Damit ihr aber wißt, daß der Menschensohn Vollmacht hat, auf Erden die Sünden zu vergeben - sprach er zu dem Gelähmten: Steh auf, nimm dein Bett und geh heim! Und er stand auf, nahm sein Bett und ging alsbald hinaus vor aller Augen. Als das Volk das sah, fürchtete es sich und pries Gott . . .
Vollmacht hat hier zwei Seiten. Eine für alle sichtbare, die jeder prüfen konnte: "Steh auf, nimm dein Bett und geh heim. Und er stand auf, nahm sein Bett und ging alsbald hinaus vor aller Augen". Und eine unsichtbare Seite, die niemand kontrollieren konnte: "Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben".
Der sichtbare, zeichenhaft Erweis von Vollmacht findet sich in allen Teilen der Bibel . . . Müßig, hier einige der zahllosen Beispiele anzuführen - Mose, Josua, die Richter, Elia, die Apostel . . . bis zur Gegenwart. Es ist ja gerade das herausragende Merkmal des Gottes von Juden und Christen, daß er sich in der Geschichte offenbart ! ! !
Mt 11,4ff: "Gehet hin und sagt . . . was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf . . . und selig ist, der nicht Ärgernis nimmt an mir."
Und unsere Schriftgelehrten an den Universitäten? Angesichts der für alle sicht- und nachprüfbaren Seite von Vollmacht rufen sie (nahezu) einstimmig und lauthals: Mythos, Legende, Gemeindebildung, Lehr- erzählung, zeitbedingte Bildersprache . . . Stimmt so nicht; ist niemals geschehen; alles Erfindung . . . Das wollen wir nicht ! ! !
Mit Blick auf die unsichtbaren Seite, die niemand kontrollieren kann, rufen sie einstimmig mit allergrößter Lautstärke: Wahrheit, die reine Wahrheit, nichts als die Wahrheit . . . Das können wir auch ! ! !
Ein Schelm, der Arges dabei denkt: die Trauben sind uns zu sauer? Wenn protestantische Theologie mit Hilfe 'wissenschaftlicher Methoden' (der Historiker!) ihre Kompetenz allein auf nicht sichtbare Elemente begrenzt, sie jeder objektiven Überprüfung entzieht und "solo verbo", nur mit Worten, proklamiert. "Was ist denn leichter . . . "
Ist das, was an den Universitäten gelehrt und Sonntag um Sonntag von den Kanzeln gepredigt wird, tatsächlich "Gottes Wort"? Wenn seine "schöpferische, von Grund auf erneuernde Kraft" weder von sichtbaren Zeichen noch von der Statistik bestätigt wird?
Wer Ohren hat zu hören, weiß um die Krise der evangelischen Predigt. Die Frage bleibt: ist dies eine Krise der Worte, d. h. der Methoden, der Inhalte; oder ist dies eine Krise der Prediger? Müssen die Werke geändert werden oder die Personen?
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Ein kluger Mann, der sehr genau
wußte, wovon er redet, soll sinngemäß gesagt haben: Alles, was aus der Buße
kommt, wirkt wieder Buße. Was aber nicht aus der Buße kommt, wirkt wie
Seifenblasen gegen Festungsmauern.
Eine Predigt dürfte erst dann
zu "Gottes Wort" werden, wenn beides zusammenkommt: die
richtigen Worte und das richtige Sein. Schöpferische, von Grund auf erneuernde
Kraft wirkt nicht mittels theologischer Rechenkunst. Sie wirkt nur dann, wenn
im Menschen eine Wirklichkeit verborgen ist, die seinen Worten diese lebendigmachende
Kraft verleiht.
Es sei hier die Frage
erlaubt: Wenn Theologie die Person außer acht läßt und die Predigt auf ein
reines Wortgeschehen, d. h. ein bloßes 'Werk', reduziert - wird damit nicht
letztlich die gesamte Kirche kastriert? D. h. unfähig gemacht, lebendigen
Glauben 'fortzupflanzen'?
F R A G E 2:
Was ist das: "Wort
Gottes"? Was bedeutet: "Heiliger Geist"?
Ist die das Sein des Menschen
"effektiv verändernde" Vollmacht eine Qualifikation der 'Werke' (der
Worte)? Oder ist solche Vollmacht eine Qualifikation der Person?
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