I. Allgemeine Eindrücke
I. 1. Kleinigkeiten am Rande
I. 2. Museumsstück
I. 3. Sumpf
I. 4. Seifenblasen
I. 5. Der feine Unterschied
I. 6. Leergut
II. Konkrete Fragen
II. 1. Mythos
II. 2. Rechenkunst
II. 3. Konsequente Inkonsequenz I
II. 4. Das 'Urwort des Seins'
II. 5. Konsequente Inkonsequenz II
II. 6. Heiligung
II. 7. Wahrheit
Theologen- Theorie
Laien-Kommentar
„ICH BIN die Wahrheit“
„Unterscheidung der Geister“
Nachwort
Zusammenstellung der Fragen
Literaturverzeichnis
Rechtfertigung |
II. Konkrete Fragen |
II. 7. Wahrheit |
„ICH BIN die Wahrheit“ |
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„ICH BIN die Wahrheit“
Der christliche Glaube kennt die Überzeugung: die Wahrheit ist eine Person. "ICH BIN der Weg, die Wahrheit und das Leben" (Jh 14,6). Dabei war etwa 1700 Jahre völlig unumstritten, daß diese Wahrheit eine tatsächliche, konkrete historische Gestalt war; ein 'wahrer Mensch' aus Fleisch und Blut. (Dies ist auch Grundlage des evangelischen Bekennt- nisses und damit unserer Kirche). Erst danach begann die (theologische) Wissenschaft, den Glauben von dem 'wahren Menschen' abzutrennen; bzw. den 'geglaubte Christus' und den 'historische Jesus' auseinander zu reißen.
Bei Bultmann hatte sich die konkrete historische Gestalt dann praktisch in Luft aufgelöst bzw. war hinter dem geglaubten oder richtiger 'gepredigten Christus' völlig verschwunden. Dies wurde wohl aber selbst von der Fachtheologie als 'Luftnummer' empfunden; und so hat man dem 'historischen Jesus' wieder ein wenig geschichtliche Substanz bewilligt. Heute hält man sich - weithin - an das von Professor Linde- mann im "SPIEGEL" bestätigte Motto: Jesus hielt sich zwar nicht für den Sohn Gottes; er verstand auch "seinen Tod nicht als Sühnetod für die Sünden der Menschen", ebenfalls hat er weder die Bergpredigt gehalten, das Abendmahl eingesetzt noch den Missionsbefehl erteilt; und das leere Grab ist sowieso Legende. Im Grunde ist das, "Was man über den Menschen Jesus weiß, . . . dem christlichen Glauben im Wege" ! ! ! Aber immerhin, er hat eine Vorlage geliefert, aus der wir Theologen einen prächtigen 'kerygmatischen Christus' zaubern konnten ? ? ?
In Mt 21, 33 erzählt der 'historische Jesus' das Gleichnis von den bösen Weingärtnern: "Es war ein Hausvater, der pflanzte einen Weinberg . . . und gab ihn an Weingärtner in Pacht und zog außer Landes. Als nun herbeikam die Zeit der Früchte, sandte er seine Knechte zu den Weingärtnern, daß sie seine Früchte empfingen. Da nahmen die Weingärtner seine Knechte; einen schlugen sie, den anderen töteten sie, den dritten steinigten sie . . .
Zuletzt sandte er seinen Sohn . . . Da aber die Weingärtner den Sohn sahen, sprachen sie untereinander: Das ist der Erbe . . . und sie nahmen ihn und stießen ihn zum Weinberg hinaus und töteten ihn . . . Und da die Hohenpriester und Pharisäer seine Gleichnisse hörten, verstanden sie, daß er von ihnen redete."
Nun die Zeiten haben sich geändert. Die heutigen Weingärtner haben wesentlich zivilisiertere Methoden als ihre Kollegen vor 2000 Jahren. Deshalb würde Jesus dieses Gleichnis heute wohl in etwas veränderter Fassung erzählen. Vielleicht etwa so?: "Gott sandte sein Wort von Jerusalem hinab nach Wittenberg. Dort fiel es unter die Räuber; die zogen es aus und schlugen es und gingen davon und ließen es halbtot liegen.
Es begab sich aber von ungefähr, daß ein evangelischer Bischof dieselbe Straße hinabzog; und da er es sah, ging er vorüber. Desgleichen auch ein Oberkonsistorialrat; da er kam zu der Stätte und sah es, ging er vorüber. Und also liegt das Wort Gottes noch immer halbtot auf der auf der Straße und wartet, daß ein neuer Luther sich seiner erbarme.
Die Räuber aber errichteten einen Tempel und stellten ein Bild ihres "verbo"-Gottes darin auf. Diesem Götzen zogen sie die Kleider des Gotteswortes an, setzten im dessen Krone auf und gaben ihm den Namen Christus Friedefürst. Dann predigten die Räuber allem Volk: Seht da, der Sohn Gottes, euer Erlöser. Zahlt die Tempelsteuer und glaubt wie er, der alle Menschen von der Sünde befreit und uns die Gnade Gottes zu eigen gegeben hat.
Und der evangelische Bischof samt seinem Oberkonsistorialrat knieten nieder und beteten das Bild an . . ."
Man möge einem Laien verzeihen, wenn ihm angesichts des Zustandes der Kirche solche Gedanken kommen. Dennoch, es ist eine ernst gemeinte Frage: verstellen die 'theologischen Wahrheiten' (der 'kerygmatische, theologische Christus') den Blick auf Gottes Wahrheit (den wirklichen, den Heil bringenden Jesus)?
Als Israel Gott erzürnt hatte, "sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, daß viele aus Israel starben. Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt . . . und Mose bat für das Volk. Da sprach der Herr zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biß, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben." (4Mo 21,6ff)
Gott hat seinen Sohn am Kreuz hoch aufgerichtet, auf das alle, die ihn ansehen, "nicht verloren werden sondern ewiges Leben haben". Weist heutige Fachtheologie tatsächlich hin auf den "eingeborenen Sohn", den Gott gegeben hat? Oder hat sie selbst unzählige 'verbo-Christusse' wie eine kerygmatische Nebelwand hoch aufgerichtet? Die nun den Einen, der helfen könnte, vor den Blicken derer verbirgt, die Hilfe suchen?
Das Katholische in der katholischen Theologie gipfelt in Mt 16,18f: "Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen . . . " Der entsprechende Felsen der evangelischen Theologen ist Rö 10,17: "So kommt der Glaube aus der Predigt". Dieser Satz ist das Fundament aller "verbo"-Theologie. Doch der steht nicht wie eine einsame deutsche Eiche in einer ansonsten baumlosen Steppe. Es steht in Verbindung mit anderen Aussagen; z. B. Rö 10,14: "Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben?"
Wie sollen sie aber von dem hören, wenn evangelische Predigt gar nicht "IHN" predigt - sondern völlig andere Götter? Einst bezeugte Kirche einen Gott, der (Phl 2,6ff) "ob er wohl in göttlicher Gestalt war, nahm er's nicht als einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward gleich wie ein andrer Mensch und an Gebärden als ein Mensch erfunden.
Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr sei, zur Ehre Gottes, des Vaters."
Oder auch Eph 1,19ff: ". . . die Macht seiner Stärke . . . die er in Christus wirken ließ. Durch sie hat er ihn von den Toten auferweckt und gesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und was sonst genannt mag werden, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen; und hat alle Dinge unter seine Füße getan . . . "
Heutige (kirchlich anerkannte, akademische) Fachtheologie akzeptiert einen solchen Christus (weithin) nicht. Für sie ist das alles 'Mythos'. Der 'moderne Mensch' könne "nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen . . . und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben. Und wer . . . das für die Haltung des christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich macht." (Bultmann; nach Zahrnt S. 239)
Deshalb erfindet man halt einen pflegeleichten Christus. Genauer: man erfindet andere 'Wahrheiten'. Und zwar solche, die dem 'modernen Menschen' maßgerecht auf den Leib bzw. den Geschmack geschneidert sind. Eine Art 'Gummi-Wahrheit', die je nach Bedarf gestaltet und gebogen werden kann. Oder besser: man hat eine kerygmatische Universal-"verbo"-Wahrheits-Knete entwickelt, aus der von Fall zu Fall der dem jeweiligen Publikumsgeschmack entsprechende 'Gott' geformt wird. Diese unterschiedlichst 'kerygmatischen Christusse' haben dann zumindest eines gemeinsam: Sie sind Bilder "von Menschenhänden gemacht. Sie haben Mäuler und reden nicht, sie haben Augen und sehen nicht. Sie haben Ohren und hören nicht, sie haben Nasen und riechen nicht, sie haben Hände und greifen nicht, Füße haben sie und gehen nicht, kein Laut kommt aus ihrer Kehle" (Ps 115,4ff).
Kurz: "der Herr aller Herren und König aller Könige" (Off 17,14), "dem alle Macht gegeben ist im Himmel und auf Erden", wird von der heutigen Theologie als "Vogelscheuche im Gurkenfeld" (Jer 10,5) ausgegeben bzw. durch solche ersetzt. Wen wundert's, wenn der 'moderne Mensch' solche 'Wahrheit' weder wahr-, geschweige denn ernst nimmt. Und statt dessen sein Leben lieber nach dem Horoskop in der Tageszeitung 'heiligt'? Oder Finanzminister fragen, wozu es theologischer Fakultäten an den Universitäten bedarf . . . ?
Es mag Christenmenschen geben, die Pfarrer und Fachtheologen wegen deren Fachwissens für eine Art 'höhere geistliche Wesen' halten. Und deren "verbo" zwangsläufig für Gottes Wort. Christen dagegen, die "scriptura" einigermaßen kennen und z. B. 1Jh 4,1ff gelesen haben, sind da vorsichtiger: "Ihr Lieben, glaubet nicht einem jeglichen Geist, sondern prüfet die Geister, ob sie von Gott sind; denn es sind viele falsche Propheten ausgegangen in die Welt. Daran sollt ihr den Geist Gottes erkennen: ein jeglicher Geist, der da bekennt, daß Jesus Christus ist im Fleisch gekommen, der ist von Gott; und ein jeglicher Geist, der Jesus nicht bekennt, der ist nicht von Gott"
Der 'historische Jesus Christus, der im Fleisch gekommen ist', liegt auf dem theologischen Müll: halbtot, ausgeraubt, nackt, aus tausend Wunden blutend, gefoltert, verhöhnt und bespuckt. Und drinnen im Tempel umspringt man jubelnd den prächtig heraus- geputzten 'kerygmatischen Christus'; den, der im "verbo" gekommen ist. Sollte dies wirklich der Geist Gottes sein, der da drinnen feiert? Oder schweigt der "draußen vor dem Tor und trägt dort Jesu Schmach" (Heb 13,12f)? Was L betrifft, so gibt es nicht viel zu überlegen. Er ist gerne bereit, von Herzen ja zu sagen zu der Wahrheit, die "scriptura" bezeugt. Er verspürt aber wenig Neigung, Glauben und Leben zu gründen auf die jeweiligen 'Wahrheiten' von Theologe A oder PfarrerIn B; denn deren "verbo" kann man (nicht immer ! ! ! aber) oft genug "in die Tonne kloppen" (wie der Bördebauer so schön formuliert).
"Die Kirche lebt
praktisch davon, daß die Ergebnisse der wissenschaftlichen Leben-Jesu-Forschung
in ihr nicht publik sind". Hier schließt sich der Kreis. Heutige
Fachtheologie hat - so der Eindruck 'hier unten' in der Gemeinde - sich
(weithin) von ihren ursprünglichen Wurzeln losgelöst; hat sie praktisch
abgehackt. Sie scheut sich aber (weithin), dies offen auszusprechen. Also sucht
sie den Schein zu wahren und müht sich, Feuer und Wasser, göttliche Torheit und
menschliche Weisheit, Gottes Offenbarung in der Geschichte und akademische
Stubengelehrsamkeit zu vermengen. Die Folge ist ein Eiertanz zwischen allen
Stühlen: Kirche predigt einen Glauben, der weder Fisch noch Fleisch ist, nichts
Halbes und nichts Ganzes, weder warm noch kalt . . .
Auch Professor Jüngel haftet
dieser Geruch an. Er beruft sich ausdrücklich auf Geschichte! Er spricht von "Partizipation . . . an der Ge- schichte Jesu Christi". Er versteht den Glauben "als Reflex eines von ihm selbst nicht
hervorgebrachten Ereignisses" und bezeichnet die
Rechtfertigungslehre als "theologische
Auslegung eines Ereignisses". Doch seinen Ausführungen ist
wenig abzuspüren von Schmerz und Tränen unter dem Kreuz oder dem atemlosen
Staunen angesichts des leeren Grabes. So wie Jüngels "anderes Ich"
kein erkennbares Gesicht hat, so findet sich an seinem "Ereignis"
kaum 'historisches Fleisch'. (Und schon gar nicht nimmt er Stellung zu den
Theorien, die eine Legende daraus machen.) Deshalb erinnert 'Jüngels Ereignis'
eher an ein Potemkinsches "verbo"-Dorf: vorne sieht es aus wie
Geschichte und hinten ist doch nur Theorie drin.
Ähnliches gilt für seinen Umgang mit
Wahrheit. Er gebraucht das Wort immer wieder; S. 91: "Indem die Un- wahrheit der Sünde sich gegen
Gott, gegen seinen Geist der Wahrheit und sein Wort der Wahrheit richtet . . . "
Aber auch hier definiert er
an keiner Stelle, was das denn sei, "Wahrheit", "Geist der
Wahrheit", "Wort der Wahrheit" . . . Der Professor stellt diese
Begriffe nur in den Raum. Und dort stehen sie nun herum. Sie erinnern an eine
Kino-Leinwand, auf die Jüngel seine Rechtfertigungs- lehre projiziert.
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