I. Allgemeine Eindrücke
I. 1. Kleinigkeiten am Rande
I. 2. Museumsstück
I. 3. Sumpf
I. 4. Seifenblasen
I. 5. Der feine Unterschied
I. 6. Leergut
II. Konkrete Fragen
II. 1. Mythos
II. 2. Rechenkunst
II. 3. Konsequente Inkonsequenz I
II. 4. Das 'Urwort des Seins'
II. 5. Konsequente Inkonsequenz II
Theologen- Theorie
Laien-Kommentar
Kirchliche Praxis
Anhang Laientheologie: Buße
II. 6. Heiligung
II. 7. Wahrheit
Nachwort
Zusammenstellung der Fragen
Literaturverzeichnis
Rechtfertigung |
II. Konkrete Fragen |
II. 5. Konsequente Inkonsequenz II |
Anhang Laientheologie: Buße |
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Anhang Laientheologie: Buße
Theologen im Allgemeinen und Jüngel im Besonderen sind in unzähligen Schlachten ergraute Kämpen. Die lassen sich von einigen laienhaften Pöbeleien nicht in Verlegenheit bringen. Schon gar nicht, wenn L offenbar Argumente wiederkäut, die bereits seit mehr als 400 Jahren von den Katholiken vorgebracht werden(?)!
S. 160f: "An genau dieser Stelle liegt denn auch der eigentliche Unter- schied zwischen reformatorischer und römisch-katholischer Rechtfertigungslehre. Er tritt zutage, wenn man genauerhin fragt, wie sich der Mensch an seiner Rechtfertigung zu beteiligen vermag. Gar nicht - antworten die Reformatoren und bestreiten deshalb, daß der Mensch kraft seines freien Willens Gnade aufzunehmen vermag . . . Die katholische Kirche lehrt hingegen, der Mensch sei so sehr Sünder, daß er zwar nur kraft der Gnade, aber durchaus mit seinem freien Willen die rechtfertigende Gnade aufzunehmen vermag und insofern durchaus an seiner Rechtfertigung willentlich und aktiv beteiligt zu sein vermag."
S. 168f: ". . . angemerkt, daß das tridentinische Gnadenverständnis auch innerhalb der evangelischen Christenheit nicht gerade selten anzutreffen ist, wenn auch hier in sehr viel weniger reflektierter Gestalt . . . Es ist die sich in der Neuzeit immer stärker durch- setzende Auffassung, daß der Mensch wesentlich Täter ist, die der biblischen Behauptung, der Mensch sei Gott gegenüber ein Nicht- handelnder, kaum noch einen Sinn abzugewinnen mag . . .
'Als Prüfstein in der Frage, wo ein Jeder in dieser Sache steht, ist . . . das Tridentinum hochgeeignet. Es gibt auch protestantische Recht- fertigungslehren, . . . die . . . nur allzu tridentinisch sind.' [Zitat K. Barth]"
Daß L's Ergüsse "sehr viel weniger reflektiert" sind als das Tridentinum, dürfte keine besonders sensationelle Entdeckung sein. Daß er jedoch als im Kern katholisch bezeichnet wird, ist für einen eingefleischten Lutheraner ein schwerer Schlag! Deshalb vorsorglich drei Antworten an den Reformierten(?) Jüngel, eine polemische und zwei ernsthafte:
1. ANTWORT: Falls seine Argumentation stimmt, muß auch Jüngel selbst vom Virus des Katholizismus befallen sein. Wenn ein vom Menschen "selbst zu vollziehender Lebensakt" (S. 201) "gar nichts" ist - was sollte dann 'etwas' sein? Vor der EKD-Synode: "Wer vor diesem Licht, obwohl er . . . auf es hingewiesen wurde, erneut die Augen ver- schließt, der bleibt in der selbstverschuldeten Finsternis. Er bleibt aber nur deshalb in der Finsternis, weil er in ihr bleiben will."
Wenn jemand die Möglichkeit hat, sich frei, "willentlich und aktiv" gegen etwas zu entscheiden, und er tut das nicht - dann bedeutet dies doch wohl auch (zumindest nach schlichter Laienlogik), daß er sich frei, "willentlich und aktiv" dafür entscheidet.
Oder S. 166: "Nach biblischer Einsicht gilt, daß Freiheit anthropologisch nur durch Befreiung einführbar ist. Ein freier Herr über alle Dinge, aber auch schon ein der Gnade Gottes gegenüber frei sich verhaltender Mensch wird der von der Sünde geknechtete Mensch durch den befreienden Akt der Gnade."
Wenn der Mensch - nach dem "befreienden Akt der Gnade" - auch ein "der Gnade Gottes gegenüber frei sich verhaltender Mensch" ist, dann kann und muß er in dieser Freiheit auch gegenüber der Gnade Gottes - mit freiem Willen - eine Entscheidung treffen: ja oder nein! Ob dies vor, während oder nach dem "Vom-Schlaf-erweckt-Werden" geschieht, dürfte letztendlich 'wurscht' sein. Aber geschehen muß es!
Daß ein Mensch sich "gar nicht" an seiner Rechtfertigung beteiligen braucht, ist nicht durchzuhalten. Daß schafft selbst ein Professor Jüngel nicht!
(In Klammer für Theoretiker: Man kann die Sache drehen, wie man will, es gibt letztlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder der Mensch wird - wie, wann und von wem auch immer bewirkt - in freier Entscheidung
S. 200: "durch einen von ihm selbst zu vollziehenden Lebensakt positiv in das Geschehen seiner Rechtfertigung einbezogen".
Dann gilt unweigerlich
"als Glaubender . . . ist er von sich aus an seiner eigenen Recht- fertigung beteiligt."
Oder aber er muß tatsächlich "gar nichts" tun; dann aber würde der Glaube zu einem 'vollautomatischen Gnaden-Selbstläufer'. Da Jüngel nun S. 147 "im Blick auf Gott behauptet, daß sein Herz ganz und gar von seiner Gnade bestimmt wird", ist zu fragen, wieso nicht die ganze Welt oder immerhin das christliche Europa oder allerwenigstens die evangelischen Gemeinden aus lauter frommen Christen bestehen?
Wenn Gnade eine freie Entscheidung des Menschen nicht respektiert (und damit letztlich die eigene Begrenzung oder zumindest Behinderung) - wieso hat sie dann noch nicht alle Welt erreicht? Oder besser: wenn "die ganze Welt bereits im Licht der Gnade Gottes existiert", warum will die 'Welt' das so wenig wahrhaben? Die von Jüngel auf der Synode dazu gemachte Andeutung ist wenig überzeugend: "der Gekreuzigte und Auferstandene ist noch unterwegs und wandert." In Europa scheint er wohl eher auf der Flucht zu sein . . .
Kurzum: eine ohne aktive Beteiligung des Menschen sich selbst verwirklichende Gnade kann L nirgends entdecken - weder in unserer Kirche geschweige denn in der 'Welt'. Klammer zu.)
2. ANTWORT: Wenn ein
Mann einer Frau seine Liebe gesteht und ihr einen Antrag macht, dann bedarf es
einer Antwort. Erst wenn beide vor dem Standesamt klar und eindeutig ja sagen,
ist ihre Ehe gültig.
S. 148 "Im Ereignis der Rechtfertigung des Gottlosen
geht Gott . . . eine neue
Seinsgemeinschaft mit dem Menschen ein, die . . . eine Gemeinschaft der Liebe ist . . . Liebesgemeinschaft ist per definitionem
Erwählungsgemeinschaft."
Ist diese Liebesgemeinschaft
zwischen Gott und dem Menschen eine rein einseitige Sache - Gott erwählt, und
der Mensch nimmt dankbar zur Kenntnis? Oder bedarf auch Gottes Liebe einer
Antwort; erwartet auch Gott auf seinen 'Antrag' ein klares und eindeutiges Ja,
bevor diese "Erwählungsgemeinschaft"
in Kraft tritt?
Selbst Aschenputtel hatte die
Möglichkeit der freien Entscheidung. Auch ihr Prinz mußte und wollte (!) ihre
freie Entscheidung akzeptieren. Liebe zwingt nicht und überlistet nicht. Liebe
schafft auch keine Fakten, denen sich das geliebte Gegenüber nicht entziehen
könnte. Liebe will geliebt werden! Und zwar in freier Entscheidung, eben aus
Liebe.
Gott ist Liebe. Und genau
deswegen dürfte er keine Marionetten wollen. Auch nicht in Liebe geschaffene
und aus Gnade erlöste Marionetten. Gott sucht 'Kinder', die ihn sowohl "im
Geist und in der Wahrheit" als auch in Liebe und freier Entscheidung
anbeten. Eine solche Entscheidung ist weder katholisch noch evangelisch; sie
ist einfach nur Liebe . . .
(Gott wartet auf Antwort. In
welcher Form diese Antwort erfolgen kann, ist eine
völlig andere Frage. Die Liebe hat unzählige Sprachen! So kann und muß jeder
Mensch antworten in der ihm gemäßen 'Sprache'. Kirche sollte sich hüten, hier
irgendwelche Vorschriften zu erlassen. Aber sie muß hinweisen, daß Gott wartet.
Und sie sollte Hilfen anbieten für alle, die ihre Sprache als unzureichend
empfinden.)
3. ANTWORT; S. 125: "Die Bitte um Vergebung der Sünden und die
Erlösung von dem Bösen ist die auch in ihrer unscheinbarsten Gestalt große
menschliche Tat, mit der der Mensch seinen Beitrag leistet zur Rechtfertigung
des Sünders allein aus Glauben."
Der Professor
läßt - ganz elegant - offen, ob der Mensch diesen seinen Beitrag leisten kann -
oder muß? In gewohnt konsequenter Inkonsequenz vermeidet er es, diesen
kritischen Punkt anzupacken: Ist die "Bitte
um Vergebung der Sünden" eine nette, aber letztlich unnötige
Zugabe? Oder ist diese "große menschliche
Tat" Bedingung und Voraussetzung für "die Rechtfertigung des Gottlosen"?
Doch auch das ist eine der ganz großen Fragen ! !
!
Sein Leben aus Liebe in die
Hand eines anderen Menschen legen, um sich im Guten und im Bösen mit ihm zu
verbinden, ist eine Möglichkeit. Eine andere ist die Kapitulation. Im Krieg
gibt der Unterlegene sein Leben in die Hand des Siegers - bedingungslos, auf
Gedeih und Verderb.
Die Bibel weiß um einen
regelrechten Krieg zwischen dem Geist Gottes und dem "Geist der
Welt", zwischen der Gemeinde und den "Mächtigen und Gewaltigen,
nämlich mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen, mit den
bösen Geistern unter dem Himmel" (Eph 6,12). Dieser Krieg ist zwar
entschieden, aber noch nicht beendet. Er wird erst beendet sein, wenn auch die
letzten Feinde Gottes kapituliert haben. Die Bibel läßt keinen Zweifel daran,
daß dies geschehen wird;
Jes 2,12+17: "Denn der
Tag des HERRN Zebaoth wird kommen über alles
Hoffärtige und Hohe und über alles Erhabene, daß es erniedrigt werde . . . daß sich beugen muß alle Hoffart der Menschen und
sich demütigen müssen, die stolze Männer sind, und der HERR allein hoch sei an jenem Tage."
Phil 2,9f: ". . . hat Gott ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen
ist, daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel
und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, das
Jesus Christus ist der Herr, zur Ehre Gottes des Vaters."
Doch solange sich nicht
"aller derer Knie" gebeugt haben, so lange herrscht halt Krieg. Und
so lange zeigt Gott zwei Gesichter; 1Pt 5,5: "Gott widersteht den
Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade." So lange wird auch
der Glaube aus zwei Wurzeln wachsen: aus Liebe und / oder Kapitulation. Maria
antwortete dem Engel: "Siehe ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie Du
gesagt hast" (Lk 1,38). Paulus dagegen mußte erst zu Boden geschlagen
werden und Jeremia klagt: "Du bist mir zu stark gewesen und hast
gewonnen." (Jer 20,7).
Jesus hatte seinerzeit kaum
Probleme mit den "Elenden", d. h. den Sündern, den Kranken, den
Ausgestoßenen. Die "Zerschlagenen" haben ihn akzeptiert und seine
Hilfe angenommen. Dagegen gab es ständig Reibereien mit den 'oberen
Zehntausend'. Die "Gerechten" neigten dazu, Jesus abzulehnen; 1Ko
1,26ff: "Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht
viele Angesehene sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat
Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der
Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; und das
Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott er- wählt, das da nichts ist,
damit er zunichte mache, was etwas ist,auf das sich vor Gott kein Fleisch
rühme."
Offenbar finden die
"Elenden" den Weg ins Reich Gottes leichter. Sie wurden vom Leben
bereits in die Knie gezwungen und sind deshalb wohl eher bereit, Gottes Hilfe
anzunehmen. Die 'Großen' dagegen, die "etwas darstellen in der Welt",
dürften den Zugang nur durch die Kapitulation hindurch finden. Sie müssen erst
noch auf die Knie gehen. Und dieser Weg scheint nicht sonderlich beliebt zu
sein . . .
Eugen Drewermann hat u. a.
das Buch geschrieben "Lieb Schwesterlein, laß mich herein - Grimms Märchen
tiefenpsychologisch gedeutet" (dtv 1994). Ab Seite 43 deutet er das
Märchen vom "Marienkind":
Ein Kind bitterarmer Eltern
wird von der Jungfrau Maria in den Himmel aufgenommen. Dort bekommt es eines
schönen Tages 13 Schlüssel ausgehändigt. 12 der dazugehörigen Türen darf es
öffnen, die 13. nicht. Natürlich öffnet das Kind auch diese Tür, wird von Maria
zur Rede gestellt, streitet alles ab und wird dafür bestraft.
In der Folge entwickelt sich
ein heftiger 'Machtkampf' zwischen beiden. Maria fragt immer wieder nach, das
Kind leugnet hartnäckig und der Druck durch die Strafen wird immer stärker. Das
Kind findet sich auf der Erde wieder, nach der Hochzeit mit einem Königssohn
werden ihr drei Kinder genommen und zuletzt landet es
auf dem Scheiterhaufen.
". . . und als sie an dem Pfahl festgebunden war und das
Feuer ringsherum zu brennen anfing, da schmolz das harte Eis ihres Stolzes, und
ihr Herz war von Reue bewegt . . . daß sie
laut ausrief: 'Ja Maria, ich habe es getan!'
Und alsbald fing der Himmel
an zu regnen und löschte die Feuerflammen, und über ihr brach ein Licht hervor,
und die Jungfrau Maria kam herab . . . Sie
sprach freundlich zu ihr: 'Wer seine Sünde bereut und eingesteht, dem ist sie
vergeben', und reichte ihr die drei Kinder . . . und gab ihr Glück für das ganze Leben.
Drewermanns Deutung läßt kaum
ein gutes Haar an dieser "Jungfrau Maria". Er ist der Meinung,
"sich auf Gedeih und Verderb dem Urteil der 'Madonna' auszuliefern"
sei die "Quintessenz einer Entwicklung des Negativen". Das Märchen
lasse durch das "subjektive Bemühen um Frömmigkeit und Wahrhaftigkeit . . . eine bestimmte Art von Angstfrömmigkeit . . . in einem um so gespenstischerem
Licht" erscheinen.
"Denn es muß zutiefst
beunruhigen, wenn man in dem Märchen mitansehen muß, wie das Sprechen von Gott . . . dazu mißbraucht wird, ein kleines Kind . . . mit lebenslangen Schuldgefühlen zu martern . . . und am Ende sein Herz in ein Verließ von
Depressionen, Zwängen, Ängsten, vergeblichen Idealen und unaussprechlichen
Schuldgefühlen zu verwandeln. Es ist zutiefst empörend, mitzuerleben . . . wie im ganzen das Feld des Religiösen bis hinein in
seine mütterlichsten und wärmsten Symbole zu einem mörderischen Alptraum
pervertiert, indem 'Gott'
. . . zum Inbegriff
einer rigiden Über-Ich-Moral erstarrt."
Für Drewermann kommt
Kapitulation offenbar nicht in Frage. Ein konsequenter Gott scheint ihm
"ein Greuel zu sein". Ein Gott, der, wenn er nein sagt, auch nein
meint; der seine Gebote ernst nimmt und auf ihrer Einhaltung besteht - ein
solcher Gott ist für ihn ein "mörderischer Alptraum". Er empfindet es
als "zutiefst empörend", diesen Gott buchstäblich um Gnade bitten zu
sollen. "Sich auf Gedeih und Verderb" dessen Urteil auszuliefern,
wäre die "Quintessenz einer Entwicklung des Negativen". "Seine
Sünde bereuen und gestehen", d. h. eine aufrichtige "Bitte um Vergebung der Sünden",
dürfte für Drewermann inakzeptabel sein. Die "tiefenpsychologische
Deutung" der religiösen Elemente des Märchens klingen weithin wie die
wütende Weigerung, "die Knie zu beugen". Sie erinnert mitunter an Ps
2,2f: "Die Könige der Erde lehnen sich auf . . . wider den Herrn und seinen Gesalbten: Lasset uns zerreißen
ihre Bande und von uns werfen ihre Stricke".
Drewermann deutet auch an,
wie er Glauben versteht. Er sieht "das Göttliche . . . als Hintergrund eines nicht endenden mütterlichen
Erbarmens . . . Freiraum . . . in dem sich das Dasein als bedingungslos berechtigt
und bejaht und als von Grund auf 'königlich' entdecken kann".
Und wieder staunt der Laie!
Eben noch widersetzt sich Drewermann "von ganzem Herzen, von ganzer Seele
und mit allen seinen Kräften" dem Gedanken, Gott um Gnade bitten zu
müssen. Und nun vertritt er plötzlich Rechtfertigungs-Struktur B!
Er gebraucht dabei ähnliche
Formulierungen wie Jüngel! Bei dessen Struktur B erwacht der Schlafende
und "entdeckt" sich als "einen
Menschen des Lichts und des Tages". Bei Drewermann ist Glaube der
Freiraum, in dem sich das Dasein "entdeckt" als
"bedingungslos berechtigt und von Grund auf königlich" . . .
Bei beiden gibt es keinen
Platz für den Konjunktiv. Es ist keine Wahl zu treffen. Gott stellt keine
Bedingungen. Der Mensch ist bereits gerecht und vollkommen in Ordnung. Dafür
braucht nichts mehr getan zu werden. Dies muß man nur entdecken, wahrnehmen,
begreifen. Lediglich die Augen müssen aufgehen oder aufgetan werden. Die Knie
beugen ist nicht erforderlich . . .
(Wird "entdecken"
durch "erkennen" ersetzt, landet man schnell bei 1Ti 6,20: "O
Timotheus! . . . meide das ungeistliche lose
Geschwätz und das Gezänk der fälschlich so genannten Erkenntnis". Läßt die
Gnosis hier grüßen?)
Jesus sagt von sich; Jh 10,9:
"Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich eingeht, der wird gerettet."
Diese Tür scheint allerdings recht eng und vor allem niedrig zu sein; Mt 7,13:
"Gehet ein durch die enge Pforte . . . Und die Pforte ist eng, und der Weg ist schmal, der zum Leben führt . . . "
Die Frage lautet: Ist
Struktur B vielleicht eine der Religionen derer, "die hoch sind in der
Welt"? Die Religion der Hochmütigen; der "stolzen Männer" (und
Frauen), die nicht bereit sind, die Knie zu beugen, um durch diese enge Pforte
zu passen?
Es gibt weltweit viele
Religionen, wo Starke durch religiöse Leistungen die Eintrittskarte ins Reich
Gottes zu verdienen suchen. Aber es scheint auch den Versuch zu geben, ohne
Eintrittskarte dort einzudringen. Und
mit Gewalt die enge Pforte aufzubrechen
oder gar niederzureißen (Lk 16,16). Sie zu ersetzen durch einen weiten Raum, in
dem "jeder Mensch!" vom Licht
des Lebens erhellt wird. Einen Raum, in dem "die hoch sind in der
Welt" noch höher werden und sich als "bedingungslos berechtigt und
bejaht und als von Grund auf 'königlich'" gebärden können? Einen Raum, in
dem der Sünder König ist. Und Gott der Butler, der die Wünsche der hohen
Herrschaften zu erfüllen hat?
Gnade heißt: Eine verdiente
Strafe wird erlassen. Der Täter hat Gesetze gebrochen und ist deshalb zu Recht
verurteilt. Aber dieses Urteil wird nicht vollstreckt. Bei Struktur B dagegen
bekommt der Begriff eine völlig andere Bedeutung. Gnade ist dort nicht Erlaß
einer berechtigten Strafe, sondern Ausdruck für einen rechtsfreien Raum: Es gibt
weder Gericht noch Urteile. Dies alles ist Vergangenheit; ist abgeschlossen,
aus, vorbei, erledigt. Der Sünder muß weder Gott als Richter noch dessen Strafe
fürchten. Folglich gelten in der Gegenwart auch keine Gesetze mehr. (Bzw. nur
die, die der Mensch freiwillig akzeptiert oder sich selber gibt.) Gnade wird so
zur vorauseilenden General-Amnestie; oder zum Ablaßbrief, der die Vergebung
aller künftigen Sünden garantiert.
Bei Drewermann ist der
Mensch b e d i n g u n g s l o s berechtigt. Jüngel
spricht von der B e d i n g u n g s l o s i g k e i t
des Evangeliums (s. 93). All dies läuft darauf hinaus: "Heute" gelten
keine Be- dingungen, keine Regeln, keine Normen. Es gibt praktisch kein
göttliches Recht mehr. Der Mensch kann tun und lassen, was er will - nichts und
niemand hindert ihn daran. Er ist "von Grund auf 'königlich'". Auf deutsch: der Sünder ist der Größte, der HERR, der Kyrios! Es gibt keinen, der über ihm steht;
keinen, der ihm Vorschriften machen darf; keinen, vor dem er sich verantworten
muß.
Der 'moderne Mensch' will
nicht vor Gott kapitulieren. Erhobene Zeige- finger sind ihm ein Greuel. Die
Vorstellung, die Knie beugen und um Begnadigung bitten zu müssen, empfindet er
als "mörderischen Alp- traum". Also schafft er sich eine Religion, wo
"Gnade" nicht mehr Gnade ist sondern Anspruch. Wo Begnadigung nicht
als unverdientes Geschenk erbeten, sondern als Besitz verwaltet wird. Wo
Rechtfertigung nicht "von oben", von Gott, empfangen, sondern von
Theologen "nach unten" verfügt wird. Wo Gott und sein Recht nicht HERR sondern Diener des Menschen sind.
Wenn der 'moderne Mensch' sich
ein solches "Bild" (besser Karikatur) von der Welt macht, ist das
seine Sache. Erstaunlich ist allerdings, daß seriöse Theologie dieses Spiel
(weithin) mitspielt. Selbst wenn sie Gott keine eigene Meinung zubilligt (ihn
z. B. gleichsetzt mit der Natur, der Menschheitsgeschichte oder ähnlichem) -
sollte selbst ein solcher 'Gott' das Treiben der Menschheit auf Dauer
widerstandslos hinnehmen?
Was der Mensch sät, wird er
ernten (Gal 6,7)! Der Mensch ist nur ein winziges Rädchen im unendlichen
Weltall. Er macht die Regeln nicht. Der Kosmos fragt nicht nach dem Menschen;
der Mensch muß nach dem Kosmos fragen; muß sich nach dessen Regeln richten. Tut
er das nicht, wird er Chaos und Zerstörung ernten. Wenn der Mensch sich selbst
"be- dingungslos" absolut setzt, zerstört er irgendwann sich selbst.
Auch die 'Toleranz' von Schöpfung, Menschheitsgeschichte usw. hat Grenzen.
Es wäre Sache von Theologie
und Kirche, auf die 'Regeln des Kosmos' hinzuweisen und Demut vor den 'Kräften
des Lebens' einzufordern (wer immer die sind). Nach evangelischem Verständnis
bündeln sich diese 'Regeln des Kosmos' in den vier großen "Allein".
Und genau dieses "Allein" tauscht Struktur B gegen ein
"Ohne". Sie will der Welt das Heil bringen ohne Christus, ohne
Glaube, ohne Gnade, ohne die (Normen der) Bibel. An deren Stelle setzt sie den
Menschen selbst, setzt sie Indikativ, Erkenntnis und "verbo" (bzw. den menschlichen
Verstand).
Und so ist heutige Theologie
(weithin) froh - wie Hans im Glück -, daß sie auf eine so gute Art und Weise
von den schweren Steinen befreit war. Mit leichtem Herzen und frei von aller
Last springt sie nun fort. Und steht mit leeren Händen vor den Problemen der
Welt . . . Dies nennt sie dann "das Evangelium rein predigen",
"schriftgemäße Lehre" oder "apostolische
Sukzession" (S. 215f).
Um deutlich klar zu stellen:
All die angesprochenen Punkte tauchen auch bei Jüngel auf! Er vermischt die
Strukturen A und B sehr elegant und kompliziert. Deshalb ist es nahezu
unmöglich, ihn eindeutig "fest- zunageln". Dennoch, Rechtfertigung
ist für ihn ein Geschehen in der Vergangenheit und nicht Krise
"heute". Wenn Rechtfertigung für alle automatisch Indikativ ist, gibt
es keine Bedingungen, keine Regeln; Gnade wird zum unverlierbaren Besitz und
jeder kann tun und lassen, was er will.
Es bleibt die Frage: Besitzt
jeder Mensch "von Anbeginn" die "un-
zerstörbare Würde einer von Gott gerechtfertigten menschlichen Person"
(S. 228)? Oder allein die "aus Gnade sind selig geworden durch
Glauben" (Eph 2,8)?
Ist jeder Mensch automatisch
"von Grund auf königlich"? Oder allein die durch Christus "zu
Königen und Priestern gemacht" wurden (Off 1,6)?
Ist Glaube nur der "entdeckende Nachvollzug . . . des Zur-Freiheit-befreit- worden-Seins"? Oder auch die durch Beugen
der Knie bezeugte Zustimmung zum Vollzug des
"Zur-Freiheit-befreit-Werdens" - wie der Diener kniet vor seinem
König, um zum Ritter geschlagen zu werden?
Ob der Diener evangelisch
oder katholisch kniet, sollte auch hier 'wurscht' sein. Dennoch dürfte der
König nur den adeln, der tatsächlich ein "von
Herzen kommendes Ja" zu ihm sagt und Treue gelobt . . .
Kurzum: "Wenn man genauerhin fragt, wie sich der Mensch
an seiner Rechtfertigung zu beteiligen vermag" (S. 160), so lautet
die Antwort eines Laien: Der Mensch muß seinen Stolz fahren lassen und die Knie
beugen vor dem Namen Jesus und bekennen, daß Jesus Christus sei der Kyrios zur
Ehre Gottes des Vaters" (Phl 2,10f).
Letzte Bemerkung (noch zu
Antwort 3): Als Stephanus vor dem Hohen Rat(!) seine - nicht besonders
diplomatische - Predigt hielt, "ging's ihnen durchs Herz, und sie knirschten
mit den Zähnen über ihn". Und kurz darauf: "Sie schrien aber laut und
stürmten einmütig auf ihn ein, stießen ihn zur Stadt hinaus und steinigten
ihn" (Apg 7,54ff).
Jesus warnt nachdrücklich; Jh
15,18ff: "Wenn euch die Welt haßt, so wißt, daß sie mich vor euch gehaßt
hat.
Wäret ihr von der Welt, so
hätte die Welt das Ihre lieb. Weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern
ich euch aus der Welt erwählt habe, darum haßt euch die Welt . . .
Der Knecht ist nicht größer
als sein Herr. Haben sie mich verfolgt, so werden sie auch euch verfolgen . . . "
Es gibt einen "Geist der
Welt", der durch die Jahrtausende hindurch brüllt: "Kreuzige
ihn!". Er tut dies in unterschiedlicher Form und Intensität. Aber es ist
stets das gleiche Lied: "Wir wollen nicht, das dieser über uns herrsche!
(Lk 19,14). Wen wundert's, wenn Jesus meint: "Was hoch ist unter den
Menschen, ist ein Greuel vor Gott" (Lk 16,15).
So gibt es bis heute eine
'gepflegte Feindschaft' zwischen dem HERRN,
"der allein hoch sein wird an jenem Tag", und denen "die heute
hoch sind unter den Menschen". Zwischen dem eifernden Gott, der keine
anderen Götter neben sich duldet, und denen, die selbst Götter sein wollen, die
sich für "von Grund auf 'königlich'" halten. Zwischen dem Herrn aller
Her- ren, dem Gott den Namen gegeben hat, der über allen Namen ist, und denen,
die nicht bereit sind, vor dem Namen Jesu die Knie zu beugen.
Theologie steht immer
zwischen diesen unversöhnlichen Todfeinden. Und muß sich entscheiden, auf
wessen Seite sie sich schlägt. "Sie kann nicht zwei Herren dienen:
entweder wird sie den einen hassen und den anderen lieben; oder sie wird den
einen anhangen und den anderen verachten" (Mt 6,24). Sie kann nicht dem
Geist Gottes dienen und dem Geist der Welt.
Drewermann hat sich
entschieden. Er bekämpft die biblische Rechtfertigungs-Struktur A relativ offen
und mit allen Kräften. Jüngel dagegen sucht wohl die Quadratur des Kreises und
möchte es beiden Seiten recht machen. Er will A und B verbinden. Anstatt
"die hoch sind unter den Menschen" zur Kapitulation aufzufordern,
scheint er einen Waffenstillstand zwischen gleichwertigen Gegnern anzustreben.
Folglich sucht er den Geist Gottes und den Geist der Welt dazu zu bringen,
Bruderschaft zu trinken. Also sperrt er beide in seiner Rechtfertigungslehre
zusammen.
Und das Ergebnis: wo Gnade
bedingungslos als Besitz, als jederzeit verfügbar verstanden wird, droht dies
göttliche Normen auszuhebeln. Der Mensch kann dann nach Belieben entscheiden,
welche Regeln gelten und welche nicht. Die Bibel nennt das Gesetzlosigkeit; 2Th
2,3f: ". . . muß der Abfall kommen und der Mensch
der Gesetzlosigkeit offenbart werden, der Sohn des Verderbens. Er ist der
Widersacher, der sich erhebt über alles, was Gott oder Gottesdienst heißt, so
daß er sich in den Tempel Gottes setzt und vorgibt er sei Gott?
Es ist zu fragen, inwieweit
heutige Theologie mit ihrem Indikativ diese Entwicklung fördert? Und hilft, den
"Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte" (Mt 24,15) auszubrüten?
Denn daß die Gesetzlosigkeit in unserer Kirche immer größeren Einfluß gewinnt,
dürfte kein aufrichtiger Theologe bestreiten wollen. Ebensowenig deren Folgen;
Mt 24,12: "Und weil die Gesetzlosigkeit wird überhandnehmen, wird die Liebe
in vielen erkalten."
"Eifersucht" hat
meist einen negativen Klang. Dennoch gehört sie untrennbar mit zur Liebe. Wenn
in einer Ehe einer der Partner ständig fremdgeht, dann kommt irgendwann der
Punkt, wo der andere sagen muß: "Schluß, aus; ich spiele nicht mehr
mit." Andernfalls nähme nicht nur die Liebe sondern der ganze (betrogene)
Mensch Schaden.
Jak 4,4: ". . . wißt ihr nicht, daß Freundschaft mit der Welt
Feindschaft mit Gott ist?
Wer der Welt Freund sein will, der wird Gottes Feind sein."
Gott ist Liebe. Aber er ist
auch ein 'eifersüchtiger' Gott: "Du sollst keine andern Götter haben neben
mir", lautet die erste Forderung an sein Volk. Bei ihm "ist viel
Vergebung"; aber es gibt auch den Punkt, wo Gott sagt: Schluß, aus; ohne
mich!" Von Adam und Eva über König Saul bis hin zu der - für einen Laien
rätselhaften - "Sünde wider den Heiligen Geist".
Wenn Theologie es denen recht
machen will, "die hoch sind unter den Menschen", läuft sie Gefahr, es
mit Gott zu verscherzen. Deshalb sei die Frage erlaubt, ob diese konsequente
Inkonsequenz wie ein Fluch auf unserer Kirche liegt? Denn die wirkt wie
gelähmt, kraftlos, todkrank . . . Vieles
erinnert an 1Kö 18,26 (sinngemäß): "Sie . . .
richteten zu und riefen den Namen Gottes an vom Morgen bis zum Mittag und spra-
chen: Erhöre uns! Aber es war da keine Stimme noch Antwort. Und sie hinkten um
den Altar, den sie gemacht hatten . . . "
Kirche hängt am Tropf der
Kirchensteuer und sucht verzweifelt, wieder zu Kräften zu kommen. Es wird
ständig die Gegenwart Gottes beschworen, die Gemeinschaft Gottes, die Zuwendung
Gottes, die Liebe Gottes, die Nähe Gottes, die Güte Gottes. Es wird gesegnet
und gesegnet und gesegnet. Kirchliche Gnade und Vergebung werden den Leuten
kübelweise hinterhergeworfen . . .
Aber Feuer von Himmel? Kraft
aus der Höhe? Es scheint, als habe Gott gesagt: "Schluß, aus; ohne mich -
macht euern Dreck alleene."
1Kö 18,21: "Da trat Elia
zu allem Volk und sprach: Wie lange hinket ihr auf beiden Seiten? ist der HERR
Gott, so wandelt ihm nach, ist's aber Baal, so wandelt ihm nach."
L bleibt dabei: Eine hinkende
Theologie schafft eine lahme Kirche . . .
F R A G E 5
Wer ist ein Christ? Was
unterscheidet ihn von anderen?
Wie wird ein Mensch zum
Christen?
Gibt es etwas wie den
Heiligen Geist, eine „Kraft aus der Höhe“? Wenn ja, steht "jeder
Mensch" von Geburt an unter diesem 'göttliche Strom'? Oder gibt es eine
'Sicherung' ("enge Pforte"), die "heute" eingeschraubt werden
muß? Wie kann das geschehen?
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