I. Allgemeine Eindrücke
I. 1. Kleinigkeiten am Rande
I. 2. Museumsstück
I. 3. Sumpf
I. 4. Seifenblasen
I. 5. Der feine Unterschied
I. 6. Leergut
II. Konkrete Fragen
II. 1. Mythos
II. 2. Rechenkunst
II. 3. Konsequente Inkonsequenz I
II. 4. Das 'Urwort des Seins'
II. 5. Konsequente Inkonsequenz II
II. 6. Heiligung
Laien- Kommentar
Theologen-Theorie
Kirchliche Praxis
II. 7. Wahrheit
Nachwort
Zusammenstellung der Fragen
Literaturverzeichnis
Rechtfertigung |
II. Konkrete Fragen |
II. 6. Heiligung |
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Theologen-Theorie
Zu dem Schatz, den evangelische Fachtheologen ausgegraben und in unserer Kirche zur Anbetung ausgestellt haben, zählen wohl unumstritten:
1. Jesus Christus, der Sohn Gottes, unser Herr und Erlöser, dem wir unsere Rechtfertigung verdanken. In ihm wurde Gott "Fleisch" und wohnte unter uns (Joh 1,14). Er ist eins mit dem Vater (Joh. 10,30). Wer ihn 'anschaut', sieht den Vater (Joh. 14,9), sieht Gottes Herrlichkeit voller Gnade und Wahrheit (Joh 1,14) . . . Oder wie Jüngel es ausdrückt; S. 13: ". . . schöpferisch tätigen Gott gibt, der in der Person Jesu Christi Mensch geworden ist, ein unverwechselbares menschliches Leben gelebt hat, um unseretwillen den Tod eines Verbrechers am Kreuz gestorben und von den Toten auferstanden ist, um fortan durch sein Wort und seinen Geist unter uns zu wirken."
2. Gottes Wort, die Bibel, durch die Gott zu uns redet und sich offenbart; S. 215f: ". . . Wahrheit des Evangeliums, wie es im Kanon der Heiligen Schrift identifizierbar ist."
3. Das allgemeine Priestertum aller Gläubigen. Eine direkte, unmittel- bare Beziehung des Menschen zu Gott. "Gottes Gegenwart", die "Gemeinschaft Jesu Christi", eine "personale Beziehung" zum Auferstandenen . . . Mt. 28,20: "Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." Oder bei Jüngel; S. 219: ". . . in der besonderen Freude der als Gemeinschaft der Glaubenden versammelten Heiligen wird deren Gegenwart durch die Präsenz Jesu Christi sich selber so gegenwärtig, daß sie ihn und sich selber als kopräsente Personen zu entdecken und zu bejahen vermögen."
4. Wohl auch Gottesdienst und Sakramente, wo diese "Gemeinschaft Jesu Christi" vermittelt wird. Und da ganz besonders die evangelische Predigt, durch die der Schatz des Glaubens in kleiner Münze an die Christenmenschen ausgeteilt wird. Damit ihnen sinngemäß widerfährt, was die Emmaus-Jünger seinerzeit auch schon erlebt hatten; Lk 24,30f: "Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot (das Wort), dankte, brach's und gab's ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet und sie erkannten IHN . . . "
Dies alles ist tatsächlich ein gewaltiger Schatz. Bei seinem Anblick wird das Herz warm. Es lohnt, genauer hinzuschauen!
Zu 1., Jesus Christus, unser Erlöser? Dazu noch einmal der Theologieprofessor Lindemann in "Der Spiegel" vom 13. 12. 1999:
"SPIEGEL: 'Alle neutestamentlichen Aussagen, die den Tod Jesu als Heilsereignis verstehen, sind erst nach dem Tod Jesu entstanden' . . . Also verstand auch Jesus selbst seinen Tod nicht als Sühnetod für die Sünden der Menschen . . ."
Lindemann: Davon hat Jesus in der Tat nicht gesprochen. Die Worte, mit denen er seinem Sterben Heilsbedeutung zuschreibt, sind ihm nachträglich in den Mund gelegt worden."
Das ist nur eine Stimme aus einem großen Chor. In diesem Chor gibt es Soprane, die den Evangelien ein gewisses Maß an historischer Zuverlässigkeit zugestehen. Es gibt Tenöre wie Bultmann, die meinen, "daß wir vom Leben und von der Persönlichkeit Jesu so gut wie nichts mehr wissen können". Und es gibt Bässe, die rundweg bestreiten, daß Jesus überhaupt gelebt hat (z. B. Prof. R. M. Price in "Focus", 20. 12. 2003).
All diese Sänger sind Theologen! Sie alle singen vielstimmig, aber doch in großer Harmonie das eine Lied: der "historische Jesus" und der "geglaubte Christus" stimmen nicht überein. Der Mensch, der vor 2000 Jahren in Palästina lebte, habe nur wenig gemein mit der Person, die in den Evangelien beschrieben wird.
Lindemann - laut SPIEGEL einer der renommiertesten Theologie- Professoren in Deutschland - bringt es auf den Punkt: "Es geht nicht darum, ob Jesus der Sohn Gottes war, sondern um das Bekenntnis, dass er der Sohn Gottes ist."
Mit anderen Worten: der Jesus Christus, in dem Gott "Mensch geworden ist, ein unverwechselbares Leben gelebt hat, um unseretwillen den Tod eines Verbrechers am Kreuz gestorben und von den Toten auferstanden ist" - dieser "Sohn Gottes" habe so, wie wir ihn bekennen, niemals existiert. Was das Neue Testament über ihn berichtet, sei zu großen Teilen ein Produkt des Glaubens, eine Erfindung der ersten Theologen.
Evangelische Christen beten - nach Aussage einer großen Mehrheit der Fachtheologen - ein von Menschen gemachtes Bild an.
Die Bibel nennt das "Götzendienst".
(In Klammer: Prof. Jüngel würde sich vielleicht dagegen verwahren, unter diese Chorknaben gerechnet zu werden. Dennoch, auch er pfeift in dieser Tonart. Vor der EKD-Synode 1999: ". . . mit der Botschaft, dass der aus dem Geschlechte Davids geborene Jesus von Nazareth durch seine Auferstehung von den Toten als Gottes Sohn eingesetzt definiert worden ist."
Wie formulierte Prof. Lindemann - sinngemäß - doch so schön: Es geht nicht darum, wer Jesus war, sondern was wir aus ihm machen - wie wir ihn glauben, bekennen, definieren, identifizieren . . . Klammer zu.)
Zu 2., die Heilige Schrift, das "Wort Gottes", die "Wahrheit des Evangeliums"? Nochmals "DER SPIEGEL" 50/99:
"SPIEGEL: ". . . wird behauptet, 'dass es sich bei den Evangelien um Lebensbeschreibungen Jesu handelt'.
Lindemann: Das wird seit Jahrzehnten von keinem ernst zu nehmenden Exegeten mehr behauptet . . .
SPIEGEL: Der Papst . . . verkündet, die Evangelien seien zwar Glaubensschriften, aber 'als historische Zeugnisse nicht weniger zuverlässig'.
Lindemann: Ich kenne jedenfalls im deutschsprachigen Raum keinen Exegeten, . . . der sich so äußert."
"Publik-Forum", die "Zeitung kritischer Christen", bringt es wieder auf den Punkt. Im Dossier "Abschied von der Bibel?" schreibt der verantwortliche Redakteur Peter Rosien: "Wo Geschichte draufsteht, ist keine Geschichte drin . . . Wir haben es in der Bibel mit verdichteten Geschichtserzählungen, mit Mythen, Sagen, Legenden, Märchen, Novellen und anderem mehr zu tun, nur nicht mit Texten, die berichten, 'wie es wirklich war' (Ranke)."
Auch hier singt der Theologen-Chor in den unterschiedlichsten Ton- lagen. Dennoch ist es stets das gleiche Lied: Die Heilige Schrift ist nicht Gottes Wort. Sie ist "menschliches Wort" (S. 116); sie ist Menschen Wort über Gott. Evangelium, die "gute Nachricht" ist eben keine Nachricht; sie ist nicht Meldung sondern Meinung. Es enthält nicht zuverlässige Fakten, sondern religiöse Kommentare.
Die Bibel sei ein schönes, wertvolles und frommes Buch voller schöner, wertvoller und frommer Geschichten. Man kann das Herz daran erwärmen. Aber man kann es nicht daran hängen. Diese Geschichten bieten keinen festen Halt.
Es sei "ein Mißverständnis, wenn man Schriftworte eigenmächtig benutzt, um die alltägliche Realität, bestimmte Lebenssituationen mit ihnen zu steuern oder zu meistern" (Theologische Kammer der Landeskirche Braunschweig). Das ist die Grundtendenz fachtheologischer Bibelauslegung: Gottes Wort ist unzuverlässig. Es ist nicht geeignet, um damit "die alltägliche Realität . . . zu meistern". In der Not, wenn es ernst wird, kann man sich darauf nicht verlassen.
Auf deutsch: man kann Gott nicht beim Wort nehmen.
Zu 3., "Gottes Gegenwart", die "personale Beziehung", die "Gemeinschaft Jesu Christi"? Die "Präsenz Jesu Christi", Jesus als "kopräsente Person" (S. 219)? Prof. Jüngel legt sich mächtig ins Zeug! S. 67: "Gott und wir durch ein und dieselbe Gerechtigkeit verbunden! Intensivste Gemeinschaft ist angesagt . . . Diese Gemeinschaft zu schaffen ist der letzte und eigentliche Sinn des Ereignisses der Rechtfertigung . . .
Der biblische Ausdruck 'Gerechtigkeit Gottes' redet also von einem Ereignis, aufgrund dessen die gottlose Menschheit mit Gott zusammenleben kann."
"Intensivste Gemeinschaft ist angesagt"! - dieses Aussage zieht sich wie ein musikalischer Grundakkord durch das gesamte Buch; S. 3:". . . da Leben im theologischen Urteil immer Zusammenleben bedeutet, geht es genauerhin darum, ob ich jetzt und in Ewigkeit mit Gott zusammenzuleben das Recht habe . . ."
S. 87: "Denn das bedeutet die im Evangelium proklamierte Auferstehung Jesu Christ von den Toten: daß Gott sich für immer mit dem Menschen verbündet und diesen mit sich zusammen- geschlossen hat . . . Aufgerichtet wird also das Sein des Menschen als gelingendes Zusammensein mit Gott."
Die Krönung erfährt des Professors musikalisches Meisterwerk auf Seite 206: "Recht verstandene Selbstvergessenheit ereignet sich vielmehr ganz von selbst aufgrund intimster Nähe eines anderen Ich. Und insofern ist der Glaube im Modus der Selbstvergessenheit die intensivste Form von Gottesgewißheit."
Das ist christlicher Glaube: intensive Gottesgewißheit aufgrund intimster Nähe eines anderen Ich ! ! ! Ein Christ lebt aus der tiefen Gewißheit der Gegenwart eines Anderen: "Ich bin bei euch alle Tage . . . " (Mt 28,20).
Ps 73,26 ". . . so bist doch Du, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil."
"Du, Gott . . . " Genau dieses Du ist die eine köstliche Perle, für die ein Christ alles verkauft, was er hat; ist der Schatz, an dem sein Herz hängt.
Ps. 42,2f: "Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott . . . "
Ps. 73,25: "Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde . . . "
Und dieses Du hat ein Gesicht. Ein zerschlagenes Gesicht, ein bespucktes, blutüberströmtes Gesicht; und doch ein lebendiges Gesicht: "Mein Herr und mein Gott!"
Die Monatszeitschrift "Zeitzeichen" wird von der EKD als ein Kern-bestandteil der offiziellen evangelischen Publizistik bezeichnet. In der Ausgabe 01/2006 schreibt ein vor dem Examen stehender Theologiestudent "einen persönlichen Rückblick auf die Jahre an der Universität":
"Es gibt Gott nicht außerhalb unseres Glaubens an ihn. Das rückt vieles gerade. Vor allem, wenn man sich Gott doch immer noch ein wenig vorstellt wie den alten Mann im Himmel . . .
Ich fand es hilfreich, mich im Laufe meines Studiums von dieser doch sehr dominanten Vorstellung zu verabschieden. Jetzt würde ich sagen: Gott ist da, wo von ihm geredet wird, . . . wo man Leute trifft, die an Gott glauben.
Anderswo muß man ihn nicht suchen. Das ist ernüchternd . . . weil der Thron im Himmel quasi verlassen ist und leer. Weil da eben keiner sitzt über den Wolken. Keiner regiert im soundso- vielten Himmel . . . "
Auch die Bibel kennt die Vorstellung vom "Thron im Himmel"; z. B. in der Offenbarung Kapitel 4; oder Jes 6,1ff: "In dem Jahr als der König Usia starb, sah ich den Herrn sitzen auf einen hohen und erhabenen Thron, und sein Saum füllte den Tempel. Seraphim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße und mit zweien flogen sie. Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll! Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens, und das Haus ward voll Rauch.
Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen.
Zwei 'Visionen': die zweite stammt von einem Propheten, dessen Mund durch "glühende Kohle vom Altar gereinigt" (und dessen Botschaft nach 2500 Jahren noch immer voller Kraft und Leben) ist; die erste von einem Studenten, dessen Hirn zehn (oder mehr?) Semester dem Feuer der theologischen Wissenschaft ausgesetzt war.
In des Professors Buch trägt ein Unterkapitel die Überschrift: "Zur Frage nach der Existenz Gottes". Das wäre genau der Ort, um klar und eindeutig Stellung zu beziehen - für oder gegen den, "der auf dem Thron sitzt"! S. 38: ". . . daß die . . . Frage nach der Existenz eines Gottes über- haupt ihrerseits schon immer einen bestimmten Gottesbegriff (als Antwort auf die Frage, was Gott ist) voraussetzt: Sei es nun den Begriff eines allmächtigen Wesens . . . Oder sei es den Begriff eines in seiner Allmacht zu zur Gerechtigkeit verpflichteten Gottes . . . [dies zeigt] wie sehr die Frage, ob es Gott gibt, einer vorgängigen Klärung des Gottesbegriffes bedarf, um überhaupt sachgemäß gestellt werden zu können."
Doch genau das tut Jüngel nicht. Auch hier läßt er die entscheidende Frage offen. Er sagt nicht, was er meint, wenn er den Begriff "Gott" gebraucht. Er argumentiert; S. 39: "Für den christlichen Glauben ist die Frage nach der Existenz Gottes also in jedem Fall identisch mit der Frage nach einem gnädigen Gott." Sehr schön und sehr richtig! Allerdings reduziert Jüngel den "gnädigen Gott" auf eine bloße Eigenschaft. D. h., die Bedeutung der Eigenschaft "gnädig" wird breit erläutert; auf die Bedeutung des Hauptwortes "Gott" geht er dagegen nicht ein.
Der Theologiestudent redet von "Gott"; Jesaja redet (sinngemäß) von "Gott". Beide reden von derselben 'Sache', meinen aber jeweils völlig anderes. Doch wenn mit ein und derselben Formulierung nahezu alles gesagt werden kann, wird letztlich gar nichts gesagt. Wenn aber der al- les entscheidende Begriff nichts sagt, ist auch alles von ihm abgeleitete Reden "nichts-sagendes" Reden. Was heißt das denn genau: Gottes Wort, Gottes Geist, Gottes Segen . . . ? Was bedeutet denn: "Das Sein des Menschen als gelingendes Zusammensein mit Gott"; "mit Gott zusammen- leben" usw.? Ist das alles nur "verbo": leere, nichts-sagende Worte?
Der Glaube des Studenten ist das Ergebnis seines Studiums. Folglich gibt er nur wieder, was seine Professoren ihn gelehrt haben: Der Thron im Himmel ist leer. Es existiert kein "anderes Ich", kein göttliches Gegen- über. Es gibt kein "Du, Gott," den wir anrufen könnten; der uns hört und antwortet; da ist keiner, der "allezeit meines Herzens Trost und mein Teil" sein könnte. Da ist niemand; nur der Mensch und seine Worte. Ist dies das Credo heutiger Fachtheologie?
("Zeitzeichen" vertritt einen eindeutigen, für jedermann erkennbaren theologischen Kurs. Der ist offenbar von einer Mehrheit in den Entscheidungsgremien der EKD gewollt. Und er wird repräsentiert von prominenten Herausgebern; darunter Namen wie W. Huber, M. Käßmann, M. Kock. Der Student bringt die Grundrichtung dieses Kurses unverhüllt auf den Punkt. Einer der Herausgeber, der hinter der von der Redaktion vertretenen theologischen Grundrichtung steht, ist Prof. Dr. E. Jüngel)
Jh 21,15ff: "Spricht der Professor zum Studenten: Student, Sohn der Klugheit, hast Du die Rechtfertigungslehre verstanden, besser als es diese haben? Er spricht zu ihm: Ja Herr, Sie wissen, daß ich Sie verstanden habe. Spricht der Professor zu ihm: Weide Deine Lämmer! Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Student, Sohn der Klugheit, hast Du die Rechtfertigungslehre verstanden? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, Sie wissen, daß ich Sie verstanden habe. Spricht der Professor zu ihm: Weide Deine Schafe!
Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Student, Sohn der Klugheit, hast Du die Rechtfertigungslehre verstanden? Der Student wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast Du die Recht- fertigungslehre verstanden?, und sprach zu ihm: Herr Professor, Sie wissen alle Dinge, Sie wissen, daß ich Ihre Lehre verstehe. Spricht der Professor zu ihm: Weide die Christenmenschen!"
Das etwa dürfte der Kern dessen sein, was heutige Fachtheologie ver- steht unter Gottesgewißheit auf Grund "intimster Nähe eines anderen Ich".
Und 4., der Gottesdienst, die Predigt? Wo der Schatz des Glaubens bzw. das evangelische Schnitzel dem 'modernen Menschen' präsentiert wird? Die evangelische Presse vermeldet dazu ("Die Kirche", 18. 01. 04):
". . . das Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen eine Predigt des Tübinger Theologieprofessors Eberhard Jüngel zur 'Rede des Jahres 2003' wählte. Die . . . im Berliner Dom gehaltene Predigt habe 'in der Zeit des Niedergangs der geistlichen Rede zum Alltagsgerede über Gott und die Welt' die Maßstäbe wieder hergestellt . . . Denn 'zur Regel' sei die 'kalte und matte Rede' geworden; von den Kanzeln höre man 'platte politische Meinungsreden oder feuilletonistische Plaudereien'."
Wohl wahr! Wer aber trägt denn die Verantwortung für den "Niedergang der geistlichen Rede" . . .
Sinnbild für evangelische Predigt war einst das bekannte Cranach- Gemälde: Luther auf der Kanzel; die linke Hand auf die Bibel gestützt, die rechte weist auf den gekreuzigten Christus. Soll heißen: evangelische Predigt weist den Glauben hin auf ein konkretes Ziel; einen Menschen aus Fleisch und Blut; auf den, der gekreuzigt wurde und auferstanden ist.
Inzwischen will die theologische Wissenschaft herausgefunden haben: diesen Menschen aus Fleisch und Blut habe es so niemals gegeben. Dieses große Ziel der Predigt sei eine Erfindung der Urgemeinde. Auf deutsch: Luther zeige auf ein theologisches Phantom. Die rechte Hand evangelischer Predigt weise ins Leere, ins Nichts . . . Um diese Peinlichkeit zu umgehen, verlagerte die Fachtheologie ihre Aufmerksamkeit bzw. den Schwerpunkt des Glaubens weg vom Gekreuzigten hin zur Kanzel. Genauer: weg von der Person, die verkündigt wird, hin zu dem, der verkündigt, zur Person des Predigers. Bultmann bringt diese Verschiebung auf den Punkt: "Die Predigt ist selbst Offenbarung . . . sie selbst ist das Heilsgeschehen". Oder noch besser: "Das Wort der Verkündigung ist der Grund des Glaubens, es ist sein einziger Grund" (Zahrnt S. 259 u. 263). Einst hieß es "Jesus Christus ist uns gemacht von Gott zur Weisheit und zur Gerechtigkeit . . . und zur Erlösung" (1Ko 1,30). Bultmann macht daraus: 'der Theologe ist uns gemacht von Gott zur Weisheit und zur Gerechtigkeit . . . und zur Erlösung'.
Das wird nicht immer so deutlich gesagt. Dennoch, dies ist die Grund- tendenz wissenschaftlicher Predigtlehre (Homiletik): über den Inhalt der Botschaft entscheidet nicht der Absender sondern der Bote, nicht Gott sondern der Theologe. Biblische Texte sind "menschliches Zeugnis"; sie sind nicht Norm sondern Vorschlag, Empfehlung, Denkanstoß. Der Prediger muß solche Texte (historisch-) kritisch untersuchen und inter- pretieren: er muß das, was er darin als verwertbar ansieht, aussortieren und so zurechtbiegen, daß es seine Meinung von 'Gottes Wort' bzw. 'Evangelium' zum Ausdruck bringt.
Mit anderen Worten: Fachtheologie verweist die Studenten nicht auf den gekreuzigten Christus sondern an deren eigene Klugheit. Ihnen wird nicht gesagt, wie das Evangelium lautet (d. h. was sie predigen sollen); sie werden angewiesen, selbst zu entscheiden, was sie für Evangelium halten (d. h. was sie predigen wollen). Und das tun sie dann auch! Jeder predigt, was er will; bzw. was ihm gerade einfällt (oder auch nicht einfällt). Mit dem Ergebnis: der Glaube unsere Kirche hat kein Ziel mehr. Er hat keine zentrale Botschaft; keine große, alle einende 'Gute Nachricht'. Es gibt nur eine Vielzahl von Heilsbringern, die der Mensch- heit eine Vielzahl von - oft genug gegensätzlichen - Meinungen kundtun, was die denn als 'Heil' bzw. 'Gottes Wort' zu glauben habe . . .
Ein Erlöser, der von
Theologen erfunden wurde? Ein "Wort Gottes", das man nicht beim Wort
nehmen kann? "Die intimste Nähe eines
anderen Ich", das nur innerhalb "unseres Glaubens an ihn"
existiert? Die all- sonntägliche Parade verbeamteter Möchtegern-Heilsbringer?
Ist das der Schatz im evangelischen Acker ? ? ?
Oder, um auf den Punkt zu
kommen, nochmals H. Zahrnt; S. 280: "Käsemann spricht von
einem 'weltweiten Buschkrieg', in den die theologische Diskussion entartet sei . . . Über den Ausgang dieses jüngsten Abschnittes der protestantischen
Theologie läßt sich noch nichts Endgültiges ausmachen: Die Gesprächslage ist
zur Zeit noch völlig offen, ja sie scheint beinahe verworren."
(Das war etwa 1965. Heute
dürfte es noch schlimmer sein!)
Ist eine "völlig offene
Gesprächslage" die eine köstliche Perle des christlichen Glaubens? Ist
dies das evangelische Schnitzel, mit der heutige Fachtheologie 'moderne
Menschen' in die Kirchen locken will?
Das mag überzogen formuliert
sein; dennoch: L kann in den Lehren heutiger Fachtheologen keine
'eschatologische Substanz', keine 'zentrale Mitte' entdecken. Er findet keinen
'festen Punkt', an den er sein Herz hängen, wo er letzten, ewigen Halt finden
könnte. Er hört Worte, viele Worte, Fluten von Worten; gute Worte, richtige
Worte, nützliche Worte - aber L hört nicht "das Wort", das ihm 'Heil'
bringt: das ihn im Tiefsten tröstet, das sein Leben bewegt und verändert. Er
spürt nichts von einem "Frieden, der höher ist als alle Vernunft"
(Phl 4,7). Oder in Anlehnung an 1Ko 4,20 und 2Ti 3,5: in all den vielen Worte
ist keine Kraft. L findet dort keinen Gott, den er von Herzen lieben, auf den
hin er sein Leben 'heiligen' könnte.
Es gibt (oder gab?)
Theologen, die sind der Meinung "Gott ist tot". So berechtigt die
Anliegen sind, die hinter dieser blödsinnigen Formulierung stecken - Theologie
sollte sich besser der Frage stellen, ob sie selbst 'Gott los'
geworden ist? Seite 43: "Die
notwendige . . . 'Anstrengung des
Begriffes' darf auf keinen Fall dazu führen, daß man vor lauter Begriffen das
Ereignis nicht mehr zu sehen vermag, um das es geht."
Genau das ist der Punkt! Dies
ist d i e Frage, die Gemeinde an Jüngel samt
Fachkollegen, Bischöfen, Pfarrern und alle sonstigen "verbo"-Spender richtet:
Ob sie vor lauter Anstrengung von Begriffen, Ereignissen, Lehren, Ethik usw.
die Person nicht mehr zu sehen vermag, um die es geht: den Gott, den wir über
alle Lehren fürchten, lieben und vertrauen können . . .
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