Presse-Andachten
Der Engel I (ca. 07/2001)
Einst, vor vielen, vielen Jahren - man mag es kaum glauben - war L ein junger Wilder. Das heißt, so richtig wild war er nicht, aber er war jung! In einer alten Garage hatte er ein noch älteres Moped KR 50 ausgegraben. Dies war der einsitzige Vorgänger der verbreiteten DDR-Schwalbe. L benutzte es mehr zur Belustigung denn zur Fortbewegung. Aber immerhin, bergab mit Rückenwind schaffte es schon mal 53 Stundenkilometer . . .
An einem sonnigen Donnerstag trug L's JG ein dramatisches Volleyball-Spiel gegen die Jugend der LKG aus. In Ermangelung eines geeigneten Spielfeldes hatte man sich selber eines 'gebastelt' - auf einer Waldwiese, mit Hilfe eines Baumes, einer Leine und einer ca. 2 m langen, stabilen Holzlatte. Nach vollbrachten Werk packte L die Latte auf sein KR 'wupp dich' (längs, auf Sattel und Lenker - so ließen sich die erstaunlichsten Dinge befördern!), schwang sich obendrauf und knatterte los; den Gasgriff - wie immer - am Anschlag. Kumpel Christoph auf seinem 'Star' war dennoch - wie immer - weit voraus.
'Am Hang' teilt sich die Dorfstraße. Sie ist dort ein längeres Stück eben, gerade und ungewöhnlich breit. L 'raste' mit Vollgas (ohne Rückenwind) und 50 Sachen den kleinen Berg hinunter. Da kam ihm eine Gruppe Frauen entgegen; darunter die Erler Thea, eine unbeschreiblich warmherzige ältere Dame. "Hallo Thea!" brüllte L. "Na mein Gutster, wo kommst du denn her?" brüllte Thea zurück. So entspann sich ein intensives Gespräch von ca. 5 Sekunden Dauer. Als L an ihr vorbei war, drehte er sich um und brüllte nach hinten. So konnte er weitere wertvolle Sekunden für den bedeutsamen Dialog gewinnen. Die Straße war ja eben, gerade, ungewöhnlich breit und kein Auto war zu sehen
Als er sich wieder nach vorne wandte, befand er sich wenige Meter hinter Kumpel Christoph. Der hatte aus unerfindlichen Gründen angehalten und stand; zwar am Rande der Straße, aber doch mitten auf der breiten, befestigten Fläche. L nahm noch wahr, daß die Spitze der Holzlatte auf seinem Lenker direkt, millimetergenau, auf Christophs Wirbelsäule gerichtet war. Dann krachte es.
An eine Reaktion war nicht zu denken. L wollte instinktiv die Hände abwehrend ausstrecken - viel zu spät. Er konnte nur schreien. Schrei und Aufprall waren eins. Doch in den Bruchteilen der Sekunde zwischen dem Erkennen der Situation und Zusammenstoß, hat sich L's Lenker bewegt. Es war nur ein winziger, kleiner Schlenker nach links. Doch er genügte. Zwar knallten noch die Kniebleche des KR 50 auf den Gepäckträger des Stares; aber beide Fahrzeuge schlitterten praktisch aneinander vorbei. Und vor allem, die Latte stieß ins Leere. Sie hat Christoph nicht berührt.
Der guckte einen Augenblick verdutzt; dann wendete er und fuhr unbeeindruckt von dannen. L brauchte einige Zeit, um den Schreck zu verdauen. Er saß etliche Minuten reglos auf seinem Geschoß, unfähig sich zu rühren. Dann trat er es wieder an und fuhr weiter. Sie hatten ein wenig verbeultes Blech, aber sonst war nichts passiert, absolut nichts.
Jeder kann denken, was er will. Aber L weiß genau: Er war nicht in der Lage, sinnvoll zu reagieren. Dieser winzige, kleine Schlenker kam nicht von ihm. Damals hat ein Engel an seinem Lenker geruckt. Nur ein ganz feiner Stupps, aber er genügte, um einen möglicherweise folgenschweren Unfall abzuwenden.
Wenn man Kumpel Christoph heute auf dieses Ereignis anspricht, kann er sich nicht er-innern. Er hat wohl nie begriffen, an welch dünnem Faden seine Gesundheit damals hing . . .
Der Engel II
Jahre sind vergangen. L ist spürbar älter geworden. Die ersten grauen Strähnen sind nicht mehr zu verbergen; zum Sachsen ist der Anhalter hinzugekommen; aus dem KR 50 wurde eine ES 125. Mit der kommt er gegen 22 Uhr von der Arbeit nach Hause. Am Hoftor schaltet er Licht und Motor aus. Genau 'vor ihm', über dem Schuppen, steht der große, runde Vollmond. Es ist fast taghell. Als er hält, strahlt ihm der Mond direkt ins Gesicht. Von der Hüfte abwärts, steht er (und seine ES) im Schatten. Er kann dort absolut nichts sehen. Aber warum sollte er auch, er kennt dies Fleckchen Erde schließlich wie seine Westentasche.
Da krabbelt eine Fliege an seiner linken Hand. Instinktiv schüttelt er das lästige Insekt ab. Doch da muß er feststellen, dies ist gar keine Fliege - sondern die Nase eines ausgewachsenen Schäferhundes. Der ist möglicherweise ganz friedlich, doch L hatte mit Tieren noch nie ernsthaft zu tun. Sie sind für ihn eine fremde Welt; und Hunde ganz besonders. Deshalb erschrickt er gewaltig. Sein Gefühl sagt ihm: runter vom Motorrad und nischt wie weg . . .
Doch da kommt ihm ein Gedanke: "Der Hund hat dir bisher nichts getan; er wird dir auch weiterhin nichts tun." Ganz klar und deutlich 'steht' dieses Wissen in seinem Bewußtsein. Schlagartig ist aller Schreck verschwunden. L wird ganz fröhlich. Er wünscht dem Hund eine „Gute Nacht“ und empfiehlt ihm, nach Hause zu gehen. Der folgt diesem Rat und trottet von dannen. L weiß bis heute nicht, woher er kam und wem er gehörte.
Es war ein Gedanke, ein klarer, deutlicher Gedanke. Urplötzlich war er da und durch nichts zu erschüttern. Es war nicht bloß eine Vermutung oder Hoffnung; es war auch keine logische Überlegung - es war die sichere Gewißheit: der Hund wird dir nichts tun!
L ist überzeugt: auch dort hat ein Engel zu ihm gesprochen. So ist es, wenn Gott durch seine Helfer zu uns redet. Es sind nur Gedanken, aber es sind starke, kraftvolle Gedanken, die eine Situation verändern. Die Bibel sagt: Das Schwere, das wir in unserem Leben durchmachen, wiegt nichts im Vergleich zu dem, was Gott uns in der Ewigkeit an Gutem geben wird.
L glaubt das! Es wird der Tag kommen, da wird Gott selbst zu uns reden. Dann wird alle unsere Angst verschwunden sein. All die Schmerzen und Sorgen in unserem Innersten werden ausgelöscht. Alle Einsamkeit wird vergessen sein. Dann werden wir sein, wie die Träumenden! Jochen Klepper hat in einem Lied geschrieben:
"Wenn mich Gott bei meinem Namen ruft,
bin ich Wasser, Feuer, Erde, Luft . . .
Mein Herz hat einen Schlag getan,
so wie ein Fisch die Flosse regt,
ein Gras im Winde sich bewegt,
ein Vogel seine Schwingen hebt;
und alles Leben war gelebt,
und alle Ewigkeit brach an."
Ein Ruf von Gott - und die Trauer eines ganzen Lebens ist aufgewogen. Eine Berührung durch Gott - und all die ungestillten Sehnsüchte unseres Herzens werden erfüllt sein. Wenn Gott uns in seine Arme nimmt, ist alles Leben gelebt; und alle Ewigkeit bricht an . . .
Einen kleinen Vorgeschmack darauf habe ich damals erlebt.
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