Frommes Allerlei
Wenn die Seele schreit
(Hauskreis-Einstieg)
Ps 42, 2 - 4
Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue? Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht, weil man täglich zu mir sagt: Wo ist nun dein Gott?
Es gibt Menschen, deren Seele schreit. Wenn, z. B., jemand im Beruf oder in der Familie vielleicht über Jahre hinweg unter Druck steht und ständig Stress hat, dann kann der Punkt kommen, wo man am Ende seiner Kräfte ist; wo man einfach nicht mehr kann; wo vielleicht tatsächlich stimmt: "Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht". Dann schreit die Seele.
Oder wenn jemand in schwierigen Situationen nicht mehr weiter weiß, vielleicht plötzliche Arbeitslosigkeit, Probleme mir den Nachbarn, in der Familie, mit der Gesundheit oder was auch immer. Man macht und tut und versucht alles, aber man findet keine Lösung. Da schreit die Seele.
Doch auch abgesehen von solchen Situationen, wo Menschen an ihre äußersten Grenzen stoßen, dürfte es auch in jedem normalen Leben "kleinere", punktuelle Probleme geben, wo wir uns nach Hilfe sehnen. Wir hoffen und warten und beten - und nichts geschieht. Vermutlicher jeder von uns hat Dinge in seinem Leben, die nicht so laufen, wie wir uns das wünschen. Wo auch unsere Seele in gewisser Weise nach Hilfe schreit - und das nicht nur ein, zwei Wochen sondern über Jahre hinweg. Die Zeit vergeht, das Leben fließt dahin - aber diese Schmerzen sind unsere ständigen Begleiter.
Da kommt nun der christliche Glaube und verspricht uns - zunächst mal - keine Wunder. Aber er verweist auf ein Ereignis, das vor knapp 2000 Jahren geschehen ist (Bild: Christus am Kreuz). Dort - bei Jesus am Kreuz - findet sich Hilfe. Und zwar eine Hilfe, die auch dann trägt, wenn wir mit unseren eigenen Kräften und Möglichkeiten am Ende sind. Symbol für den Glauben ist Johannes der Täufer und dessen überlanger Zeigfinger: Da, da geschieht das Entscheidende.
Dieses Bild hier ist von Grünewald, der Isenheimer Altar. Cranach hat es in der Wittenberger Stadtkirche ähnlich dargestellt. Am rechten Bildrand Luther auf der Kanzel; die linke Hand auf der Bibel und die rechte weist auf den Gekreuzigten: Das ist das Zentrum der Reformation; dort am Kreuz ist etwas geschehen, das eine Bedeutung hat für uns heute - auch und gerade für die Fragen, auf die wir keine Antworten finden.
Dass dieses Ereignis tatsächlich eine Bedeutung für mich heute hat, wird auch beim Abendmahl betont: "Nehmet hin und esset - das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. ... Nehmet hin und trinket alle daraus: dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut, das für euch vergossen wird …" Es wird ausdrücklich gesagt: Für euch, d. h. für uns, für mich gegeben, für mich vergossen ...
Oder wir sind alle getauft. In der Taufe wurden wir alle, jeder ganz persönlich, in Beziehung gesetzt zu diesem Geschehen. Wir wurden gewissermaßen in dieses Geschehen mit hinein genommen. Bei unserer Taufe hat Gott jedem von uns ganz persönlich zugesichert: "Jesus ist am Kreuz auch für dich gestorben. Und deshalb gilt: Du bist mein."
Der Haken ist nur: dieses Geschehen ist ein Geheimnis. Das kann man nicht intellektuell, rein theoretisch, erfassen. Im Gegenteil, Paulus schreibt: Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit - gerade für die Intelligenten. Das kann man nicht logisch erklären.
Aber Paulus schreibt halt auch: für den Glauben ist das Wort vom Kreuz eine Gotteskraft; d. h. von diesem Geschehen geht eine Kraft aus, und zwar eine Kraft die nicht von dieser Welt ist; eben weil sie von Gott kommt. Und die trägt auch dann, wenn unsere eigene Kraft am Ende ist.
Zu diesem Haken gehört - leider - auch: Wir können über diese Kraft nicht verfügen. Es gibt keinen Knopf, auf den wir drücken können, + schwups wird Gottes Kraft wirksam. Vielleicht ein wenig fromm beten und alle Probleme sind gelöst.
Aber dennoch, dieses Geschehen ist - zunächst mal - wie ein Garantieschein. Es garantiert etwas, auf das wir uns mit absoluter Sicherheit verlassen können. In der Taufe uns persönlich zugesagt + beim Abendmahl immer wieder neu bestätigt. Und diese Garantie beinhaltet:
1. Gott interessiert sich für uns. Wir sind ihm nicht egal. Selbst wenn sich kein Mensch für mich interessieren sollte: Es ist jemand da, dem bedeuten wir etwas, dem sind wir wichtig. Wie sehr, das kann man hier erahnen. Jesus stirbt auch für mich. Selbst wenn es 100mal so aussieht, Gott hat uns nicht vergessen. Und die Garantie dafür ist: Für DICH gegeben ...
2. Jesus ist nicht da oben im Himmel geblieben, irgendwo weit weg. Er hereingekommen in unsere Welt; hat unser Leben gelebt; hat unsere Schmerzen selber durchgemacht. D. h., er kann uns verstehen.
Es ist ja häufig so, dass man gerade über die Dinge, die einem am meisten zu schaffen machen, mit niemanden reden kann. Selbst wenn man das versucht, es versteht niemand. So kann man mitunter auch unter vielen Menschen sehr einsam sein; auch in einer Gemeinde; schlimmstenfalls auch in der eigenen Familie oder in einer Ehe.
Und dennoch, es ist jemand da, der versteht uns. Der weiß, wie es in unserem Innersten aussieht; der kann nachfühlen, was uns umtreibt - eben weil Jesus selber Mensch gewesen ist und Schlimmes, furchtbar Schlimmes, durchgemacht hat. Und deswegen können wir ihm auch alles sagen - unsere Fragen, unsere Wut, unsere Sorgen, unsere Ängste, unsere Schmerzen, eben alles. Der als Mensch dort am Kreuz hing, versteht das!
3. Ich habe drei Kinder. Die tun gelegentlich Dinge tun, die mir nicht gefallen. Früher konnte ich deswegen pädagogische Maßnahmen ergreifen; heute kann ich mir nur noch die Haare raufen. Das ändert aber nichts daran, dass sie meine Kinder sind, dass ich sie liebe und für sie da bin.
Das Dumme ist: Ich selber tue auch Dinge, die nicht koscher sind und Gott nicht gefallen. Aber auch das ändert nichts daran, dass ich Gottes Kind bin, dass Gott mich liebt und für mich da ist. Auch dafür gibt es diese Garantie: Jesus ist auch für meine Sünden gestorben. "Die Strafe liegt auf ihm, auf das wir Frieden hätten."
Damit ist nicht gesagt, dass Gott nicht auch mal pädagogische Maßnahmen ergreift, um mir auf die Sprünge zu helfen. Aber dennoch gilt grundsätzlich immer: Wenn ich - Entschuldigung - Scheiße baue + danach Gott um Vergebung bitte, dann vergibt er mir. Und das nicht nur einmal oder zweimal sondern wieder und wieder und wieder und wieder ... - um Jesu willen.
Jesus hat ausdrücklich gesagt: "Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen". Das ist garantiert - und zwar jedem ganz persönlich: "Das ist das neue Testament in meinem Blut, das für DICH vergossen wird zur Vergebung der Sünden!"
4. Garantie: Es ist jemand da, der unsere Gebete hört. Die haben häufig nicht die Wirkung, die wir gerne hätten - aber sie gehen nicht verloren. Sie werden gehört. In Ps 56 heißt es: "... sammle meine Tränen in deinen Krug; ohne Zweifel, du zählst sie." Gott zählt unsere Tränen und er zählt auch unsere Gebete. Die sind ihm wichtig.
Und das nicht wegen mir; weil ich so ein frommer Mensch bin oder weil ich so gut bin oder weil ich so schön bete ... Sondern weil Jesus am Kreuz meine Gebete gewissermaßen veredelt hat. Um Jesu willen sind unsere Gebete für Gott wertvoll und kostbar - auch dann, wenn wir selber sie für kümmerlich oder wertlos halten. Im Grunde sind sie das ja auch - aber Jesus gibt unseren einen unendlichen Wert.
5. Und das gilt nicht nur für unsere Gebete sondern auch für uns selber. Ich bin jetzt 63 Jahre alt + wenn ich zurück schaue, ist vieles nicht so gelaufen, wie ich mir das gewünscht hätte. Insofern frage ich mich schon, wer bin ich denn? Was bin ich bzw. was ist mein Leben wert? Was kann ich denn mal vorzeigen, wenn es zu Ende geht? Wenn ich da auf mich schaue, ist die Bilanz alles andere als berauschend.
Wenn ich aber zum Kreuz schaue, sieht das sofort völlig anders aus: Der Sohn Gottes opfert sein Leben auch für mich! Das alleine ist schon atemberaubend. Es kommt aber noch etwas hinzu: Durch den Glauben entfaltet dieses Geschehen eine Wirkung in mir.
Wenn ich mich auf „das Wort vom Kreuz“ einlasse, wenn ich das glaube, wenn ich ehrlichen Herzens sage: "Ja, Jesus, ich will dir gehören!" - dann macht das was mit mir. Eine Wirkung ist (es gibt noch mehr, aber eine ist): Ich werde selber auch veredelt - denn ich werde ein Kind Gottes. Auch wenn ich das selber gar nicht so merke, aber in Gottes Augen werde ich dadurch unendlich wertvoll. Denn ich bin ja sein Kind, Gottes Kind, Vater unser im Himmel ... !!! Und auch das nicht, weil ich so nett und fromm bin, sondern weil Jesus mich dort am Kreuz so wertvoll gemacht hat.
6. eher am Rande: Ich bin halt 63 Jahre; der größte Teil meines Lebens liegt hinter mir. D. h. das Ende rückt nicht nur langsam näher, sondern wird auch immer mehr zu einem Thema, das ich nur schwer verdrängen kann. Aber auch da gibt es nur eine Antwort: Wenn es zum Ende hin geht, werde ich in mir selber weder Trost noch Hilfe finden - sondern nur dort. Weil Jesus für mich gestorben ist, wird auch mein Ende gut werden.
Denn in diese Garantie ist noch eine zweite mit eingeschlossen, nämlich diese hier (der Auferstandene; Isenheimer Altar). Hinter dem Tod geht es weiter - und zwar unvorstellbar gut. Paulus sagt; Rö 8,18: "Ich bin überzeugt, dass die Leiden hier in diesem unserem Leben nichts sind im Vergleich zu der Herrlichkeit, die wir dort, hinter dem Tod, erleben werden.“ Und das ebenfalls nicht wegen dem, was ich vorzeigen kann, sondern wegen dem, was Jesus für mich getan hat.
7. und letztens: Seinerzeit, nach Ostern, sagt der "ungläubige Thomas" sinngemäß zu seinen Jüngerkollegen: "Was ihr mir da erzählt von Auferstehung usw. ist ja ganz schön, aber das hilft mir nicht. Karfreitag, die Kreuzigung, hat mich so getroffen und mitgenommen und verletzt, da können Worte mir nicht helfen. Wenn schon, dann muss ich das selber erleben; ich muss Jesus mit meinen eigenen Augen sehen, ich muss ihn anfassen, damit ich das glauben kann."
Dazu sagt Jesus: "Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!". Was ich hier mehr oder weniger schön erzähle, fällt alles unter dieses Motto: "Nicht sehen und doch glauben." Oder wie es im Hebräerbrief heißt: "Der Glaube ist eine feste Zuversicht auf das, was man hofft – nicht was man hat, sondern was man hofft. Und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht - ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht."
Aber das ist nicht alles! Denn Jesus ist dem Thomas dann ja doch noch begegnet. So dass der ihn tatsächlich mit eigenen Augen sehen und seinen Finger in die Nägelmale legen konnte. Auch die Psalmen wimmeln von Aussagen wie: "ich schrie zu dir, da machtest du mich gesund ... zu Gott schrieen sie und wurden errettet .... Gott hört ihr Schreien und hilft ihnen ... wenn ich dich anrufe, wenn ich zu dir schreie, so erhörst du mich und gibst meiner Seele große Kraft ..."
Gott hört unsere Gebete nicht nur - er kann sie auch ERhören und, wie auch immer, darauf antworten. Sei es, dass er Trost gibt in schwerer Zeit; oder einfach Kraft zum Durchhalten. Die Geschichte von den Spuren im Sand haben wir alle schon 20 mal gehört: "Dort, wo du am Ende warst; wo es dir so richtig schlecht ging; wo du nur eine Spur gesehen hast; dort habe ich dich getragen."
Es kann aber auch sein, dass Gott uns ganz konkrete Hilfe schickt - bis hin zu richtig großen Wundern. Die sind hierzulande selten geworden, sehr selten; aber Gott ist noch immer derselbe.
Darum, wenn die Seele schreit, weiß ich nur eines: Weiter schreien ... und schreien ... und schreien ... Gott kann und will und wird uns helfen - um Jesu willen. Oder wie es im Vers 6 des 42. Psalms heißt: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.“
Amen.
Ich wette, wir alle haben das volle Programm schon selber absolviert. Wir alle haben schwere Zeiten durchgemacht + erlebt, wie Gott uns spürbar geholfen hat. Aber wir alle dürften auch das andere kennen: Wir beten und hoffen und beten und machen - und nichts passiert.
Nun ist es ziemlich heikel, solch ein sehr persönliches Thema anzusprechen in einer Runde, wo man sich gegenseitig kaum kennt. Aber vielleicht ist der eine oder andere doch bereit kurz anzudeuten, wie er solch eine schwere Zeit erlebt hat - sei es, dass man Gottes Hilfe tatsächlich erlebt hat. Oder sei es auch, dass Gott nicht geholfen hat; zumindest nicht so, wie man das erhofft hat.
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