I. Allgemeine Eindrücke
I. 1. Kleinigkeiten am Rande
I. 2. Museumsstück
I. 3. Sumpf
I. 4. Seifenblasen
I. 5. Der feine Unterschied
I. 6. Leergut
II. Konkrete Fragen
II. 1. Mythos
Theologen- Theorie
Kirchliche Praxis
Laien-Kommentar
II. 2. Rechenkunst
II. 3. Konsequente Inkonsequenz I
II. 4. Das 'Urwort des Seins'
II. 5. Konsequente Inkonsequenz II
II. 6. Heiligung
II. 7. Wahrheit
Nachwort
Zusammenstellung der Fragen
Literaturverzeichnis
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Kirchliche Praxis
Zwischen Teil I und diesen Zeilen liegen reichlich drei Jahre. In dieser Zeit ist Laie L um einiges älter und an Erfahrung reicher geworden. Er hatte ausgiebig Gelegenheit, kirchliches Sein nicht nur zu beobachten sondern in vollen Zügen zu genießen!
Er mußte - aus nächster Nähe - mit ansehen, wie eine evangelische Pfarrerin in so verzweifelte Not geriet, daß sie sich daß Leben nahm. Ihr Ehemann, ebenfalls Pfarrer, wurde kurz darauf u. a. wegen dieser Ereignisse vom Dienst beurlaubt. Es gelang ihm jedoch, seinen "Fall" in großem Stil in die Medien zu bringen. Dort präsentierte er sich als Opfer kirchlicher Willkür und machte die Ehefrau für all seine Probleme verantwortlich.
L war bemüht, für die Verstorbene einzutreten. Um wenigstens die schlimmsten Verleumdungen zurückzuweisen, veröffentlichte er eine Gegendarstellung. Darauf hin wurde er vom Pfarrer bei der Staatsanwalt- schaft angezeigt. Und obendrein verklagt vor einem Landgericht - auf Unterlassung, Widerruf, Schadenersatz und 2.500,- E Schmerzensgeld.
Die Gegendarstellung war genauestens geprüft und entsprach den Tatsachen. Folglich wußte der Pfarrer nichts Wesentliches dagegen vor- zubringen. Der Staatsanwalt stellte das Verfahren nach kurzer Zeit ein. Im Zivilprozeß ging es zuletzt - neben einem bedauerlichen Fehler des Zeitungs-Redakteurs - nur noch um zwei eher nebensächliche Bemerkungen zur Situation in der Kirchgemeinde.
"Effektiv verändertes Sein": Pfarrer und Ehrenamtlicher prügeln sich vor Gericht über innerkirchliche Fragen - "bei Vermeidung von Ordnungsgeld bis zu Euro 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 2 Jahren oder Ordnungshaft bis zu 2 Jahren" ? ? ? (Das Zitat ist korrekt!)
(Um Mißverständnisse zu vermeiden: Nach mehr als einem Jahr Prozeßdauer kam es zu einem Vergleich. Um der Farce ein Ende zu machen, stimmte L zu, a) eine ungeschickte Formulierung künftig zu unterlassen; und b) dafür zu sorgen, daß sich der Fehler des Redakteurs nicht wiederholen kann. Dafür brummte ihm das Gericht allerdings 20 Prozent der Kosten auf. In der Sache jedoch hatten L's Aussagen vollständig Bestand. Er mußte nicht ein einziges Wort zurücknehmen! Dies nur für den Fall, daß jemand argwöhnt, L führe leicht mit Worten heraus, die er später nicht aufrechterhalten kann . . . )
Kurz vor ihrem Tod hatte L
der Verstorbenen empfohlen, sich nochmals an Bischof oder Konsistorium zu
wenden: "Angesichts des himmel- schreienden Unrechts müssen die doch was
unternehmen!?" Die junge Frau hatte nur gelacht, bitter gelacht:
"Glauben sie wirklich, daß mir von d e n e n einer
hilft?"
"Effektiv verändertes
Sein"? Eine Pfarrerin geht in den Tod in der Überzeugung, von
"denen" an der Spitze meiner Kirche hilft mir niemand. Sie alle sind
freundlich und verständnisvoll; aber jetzt, wo es hart auf hart geht, stehe ich
alleine da. Sie alle reden und reden, aber wirklich handeln
tut keiner.
(Die Geschichte um
Beurlaubung des Pfarrers war - und ist? - über Jahre hinweg ein gigantisches
Trauerspiel und lohnt eine unabhängige Untersuchung. Sie offenbart den
Widerspruch zwischen theologischen Theorien und dem "real-existierenden
Sein" der evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen in
beschämendster Weise!)
L ist versucht, weitere (wenn
auch 'harmlosere') Geschichten anzufügen. Geschichten z. B. vom
Gemeindekirchenrat aus Abcdorf. Dort engagieren sich freundliche,
tüchtige Älteste. Wenn es etwas zu feiern gibt, sind sie alle da. Nur wenn ein
unangenehmes Problem auftaucht, ihr Engagement Mühen oder gar Opfer erfordert,
sind sie - schwups - allesamt spurlos verschwunden. Dann stößt das veränderte
Sein an seine Grenzen.
Oder Geschichten aus der
großen Gemeinde Defleben. Dort lagen sich die Pfarrer, Kantoren,
Gemeindekirchenräte und Verwaltungsamt in den Haaren. Das "effektiv veränderte"
Gemeindeleben lieferte jahrelang Gesprächsstoff für die ganze Stadt.
Oder Geschichten von
Glaubenskriegen zwischen Einzelpersonen oder (und) kirchlichen Leitungsgremien
oder (und) kirchlichen Verwaltungen.
Oder Geschichten von . . .
Genug davon. In Mt 13,24ff
findet sich das Gleichnis "vom Unkraut unter dem Weizen". Sinngemäß:
in den Gemeinden wachsen guter 'Weizen' und 'vom Feind gesätes Unkraut' bunt
durcheinander. Doch Gott verzichtet (vorläufig) darauf, das 'Unkraut'
auszureißen, weil dies auch dem 'Weizen' schaden würde.
Prof. Jüngel betrachtet den
'Weizen' ganz selbstverständlich als Frucht seiner Theologie bzw. deren
Verkündigung. Er beruft sich auf Röm 10,17: ". . . kommt der Glaube aus der Predigt". Sinngemäß
lautet seine Logik: Weil Gottes Wort Gottes Wort ist, hat es "schöpferische, erneuern- de Kraft".
Deshalb entstehe unter all den Kanzeln, auf denen dogmatisch korrekt gepredigt
wird, Glaube und geistliches Leben; werden durch die Predigt in den
Gottesdiensten Menschen (positiv) verändert.
Eine schöne Theorie! Doch wo
geschieht das tatsächlich? Es gibt Gegenden in Deutschland, da scheint der
christliche Glaube kurz vor dem endgültigen Aus zu stehen. Es gibt andere
Gegenden, dort ist er noch relativ lebendig. Wo aber findet man die Gegend, in
der die Christen an Quantität und Qualität zunehmen? Wo gibt es Beispiele, daß
Kirchgebäude zu klein werden und die Besucher nicht mehr fassen? Wo sind die
Gemeinden, die stetig wachsen? Wo sind all die Menschen, die durch moderne
Predigt "effektiv verändert"
wurden und nun begeistert ihren Glauben bezeugen?
In der Vergangenheit hat es
das gegeben. In anderen Ecken unserer Erde soll es das geben. Aber dort, wo die
'wissenschaftliche Theologie' den Ton angibt? Im Deutschland von heute? Hier
scheint alles zu schrumpfen: die Zahl der Kirchenmitglieder, die Zahl der
Gottesdienst- Besucher, das Geld, die Stellen, der Einfluß in der Gesellschaft,
der christliche 'Grundwasserspiegel' . . . Es gibt Landeskirchen, die rechnen
damit, daß sich ihre Mitgliederzahlen in den nächsten 20(!) Jahren halbieren(!!!)
werden. Wo zeigt sich denn die "verändernde, erneuernde Kraft"
heutiger Predigt?
PfarrerInnen inhalieren
"Wort Gottes" mitsamt seiner schöpferischen Kraft auf
lateinisch, deutsch, griechisch und hebräisch. Und dies mehr als fünf Jahre
lang! Sind sie dadurch bessere Menschen? Unterscheidet sich ihr Sein
tatsächlich (positiv) von dem anderer Leute ? ? ?
Konfirmanden werden zwei
Jahre lang (mehr oder weniger intensiv) mit "Gottes Wort" bearbeitet.
Wo bleibt ihr "effektiv verändertes
Sein" nach der Konfirmation, wenn die meisten von ihnen spurlos
verschwinden?
In den Gemeinden wird
regelmäßig 'Gottes Wort' gepredigt. Gemeinde- kirchenräte gehen (mitunter) zum
Gottesdienst. Ihre Sitzungen finden "unter Schriftwort und Gebet"
statt. Unterscheidet sich das Miteinander in den Kirchgemeinden tatsächlich so
grundsätzlich von dem in anderen Vereinen? (L hat oft genug das genaue
Gegenteil erlebt. Er ist inzwischen der Meinung, es gibt kaum etwas, das den
christlichen Glauben so "effektiv" bekämpft wie manche
Kirchgemeinde!) Usw., usw.
Deshalb sei die Frage
erlaubt: Wächst der 'Weizen' aus dem, was heute von den Kanzeln gepredigt wird?
Oder sät er letztlich sich selber aus (in Familien, Gemeinden oder
Gemeindekreisen usw.)? Wächst Glau- be wegen oder trotz der in
unserer Kirche dominierenden Theologie? Ist das, was den angehenden
PfarrerInnen an den Universitäten in die Hand (bzw. ins Gehirn) gegeben wird,
tatsächlich guter Samen? Oder ist der in sich tot, unfähig zu keimen und
aufzugehen? (Bzw. wachsen daraus statt 'Weizen' mitunter völlig andere
Pflänzchen?)
Wohlgemerkt: Es gibt auch in
unserer Kirche Anstand, guten Willen, Opferbereitschaft; es gibt zahlreiche
Christen (PfarrerInnen eingeschlos- sen), die in guter Weise Zeit, Kraft, Geld
und Einfallsreichtum einbringen. Es gibt viele Gemeinden, in denen positiv
'etwas los ist'; wo es Freude macht mitzutun! Aber gibt es das nur in der
Kirche? Jeder Heimat- oder Schützenverein lebt vom Idealismus seiner
Mitglieder; ein Sportclub ohne engagierte Ehrenamtliche kann einpacken. Was
unterscheidet solche Vereine von der Kirche? Was ist dort so grundsätzlich
anders? Wo und wie zeigt sich bei uns die einzigartige 'schöpferische Kraft'
Gottes bzw. seines Wortes ? ? ?
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